Herbst/Die Farben der Stadt

Es wird Herbst und ich habe zum ersten Mal ein bisschen Heimweh. Der Anfang des Wintersemesters in Deutschland fällt (mit ein bisschen Wetterglück) jedes Jahr mit den 2 oder 3 besten Wochen der Jahreszeit zusammen: Diesem goldenen Oktober, wenn die Sonne nochmal ihr Bestes gibt, das Nachmittagslicht und all das rot, orange und gelb der Blätter einen warm einhüllen und über allem dieses trockene Rascheln zu hören ist. Wenn die Abende kalt werden, man nachmittags aber noch mit der Sonnenbrille draußen sitzt. Ich habe Heimweh nach diesem Gefühl.

Ich sitze draußen auf dem Campus, lerne für die Midterms und schweife ab. Der Grund ist das vertraute Geräusch raschelnder Blätter. Es geht Wind und hin und wieder landet ein gelbes Blatt auf mir. Und trotzdem stimmt die Stimmung nicht, wenn ich mich umschaue. Der Wind führt einen in die Irre. Er ist kühl und stark, Typhoon-Warnung Stufe 1 oder 2, noch lange kein Grund zur Beunruhigung, aber das Wetter ist spürbar anders.  Setzt er einen Moment aus merkt man aber, dass die Luft immer noch schwül ist. Und die im deutschen Herbst manchmal gefühlten 25 Grad sind hier tatsächlich noch Realität. Mindestens.

Um den 20. September herum hat in Hong Kong spürbar der Herbst begonnen. In allen Reiseblogs und -führern liest man, dass das hier die beste Jahreszeit ist. Kühle Brisen, strahlend blauer Himmel, kaum Regen, ein deutlich bemerkbares Absinken der Luftfeuchtigkeit und der Temperaturen auf 25 bis 30 Grad. Das klingt nach einem wunderbaren … Sommer, genau. Und der war perfekt, die Stadt hat sich in den letzten Wochen von ihrer besten Seite gezeigt.

Letzte Woche saßen Franzi und ich draußen, wir haben gelernt, über irgendwas diskutiert und plötzlich schaut sie hoch und ruft: „Das ist eine Herbstsonne!“ Und damit hat sich irgendwie auch die innere Uhr umgestellt und das veränderte Gefühl ist seitdem da.

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Und hier fängt die Verwirrung an. Das Licht stimmt irgendwie – fast. Trotz einem oder zwei Bäumen mit fallenden Blättern ist hier alles sommerlich grün. Rechts von mir werden die trockenen Blätter vom Wind über den Beton gefegt – links stehen ein paar Palmen. Und damit muss ich mir eingestehen, dass Vorstellungen vom deutschen Herbst einfach nicht nach Hong Kong passen, denn meine Vorstellung von der Stadt ist im Wesentlichen von zwei Aussichten geprägt:

Das ist einmal der Blick auf die Bucht, wenn man im Bus von Tuen Mun aus ins Zentrum fährt. Das dunkle Grün der Hügel, die weißen Brücken nach Lantau Island und Kowloon und dem Türkis des Meeres, das an sonnigen Tagen jedem Instagram-Filter Konkurrenz macht.

Das zweite prägende Bild sind die Wohntürme (euch inzwischen ja auch hinreichend bekannt). Wie es sich für einen Ort gehört, an dem Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit das Leben prägen, haben viele Gebäude Außenwände aus Fliesen. Dabei waren in den 1980ern und 90ern Farbkombinationen in, die mich immer wieder an zeitgenössische Trainings- und Skianzüge erinnern: rosa/fleischfarben, lila, und türkis. Die Farben sind in der Regel jedoch eher gedeckt, was bei den entsprechenden Gebäudetypen durchaus zum Wohle aller beiträgt. Dazu kommen ein helles weiß/beige/greige oder hellblau, je nach Typ und Alter der Gebäude, sowie das anscheinend seit etwa 20 Jahren im Trend liegende sanfte Terrakotta mit türkisfarben spiegelnden Scheiben.

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Wie Franzi schon beschrieben hat, ist das Bild auf Straßenlevel ein ganz anderes, es ist bunt, voll, leuchtend, wuselig. Aber in Hong Kong wandert der Blick permanent nach oben. Gestern saßen wir auf einer Aussichtsplattform, der erste Blick aus der Vogelperspektive. Franzi hat eines ihrer Bilder gepostet und beim Diskutieren über einen Instagram-Filter waren wir uns plötzlich einig: die Stimmung muss kühl sein. Hitze, ja. Aber alles ist kantig, groß, matte Farben und Formen, ein bisschen sonnengeble icht. Die Stadt ist Sommer, da kann die Herbstsonne noch so scheinen und gegen 6 untergehen. Man kann eben nicht alles haben. Und der Verzicht auf (Gummi-)Stiefel im Oktober ist was ziemlich Feines.

Trotzdem kann ich mir nicht helfen.

Berkeley, ich habe Kürbisneid.

5 thoughts on “Herbst/Die Farben der Stadt

  1. Dein Herbst- Heimatsweh kann ich gut verstehen, gerade wenn es deine liebste Zeit im Jahr ist! Fühl dich gedrückt meine Liebe :*

  2. Das mit dem Herbst ist so eine Sache – Kalifornien verwöhnt uns auch immer noch mit über 20 Grad. Die Tage werden zwar kürzer, aber mit den Palmen und den Sommerkleidchen passt das irgendwie nicht so recht zusammen. Als es letzte Woche mal geregnet hat, kamen auch richtige Heimwehgefühle auf. Ich versuche mir immer wieder zu sagen, dass es ein verdammt hohes Beschwer-Niveau ist, wenn man sich über zu lange Sommer aufregt 😀

  3. Endless Summer! Genießt es!! Unser Indian Summer lässt auch nicht wirklich auf den Herbst schließen, aber ich genieße den Ausfall dieser Jahreszeit 😀 Habt wundervolle sonnige Tage auf der anderen Seite des Pazifiks! Der Winter kommt schon früh genug wieder nach unserer Rückkehr.

  4. Hohes Beschwerdeniveau, definitiv. War heute in der Stadt und endlich aus dem Midterm-Tunnel raus, meine Meinung steht fest: 26 Grad und Herbstlicht ist das absolute Optimum an Wetter überhaupt. Punkt. Wärmste Grüße über den Pazifik zurück!
    Seh uns schon in Nonnenhorn gemeinsam rumnölen, weil uns so kalt ist 😀

  5. Hatte das aber auch schon! Seoul hatte aber wunderschönes Herbstwetter für mich bereit, bunte-Blätter aufgetankt, so dass die (Taifun-)Schwüle nicht so schlimm war. Aber ich habe mich ja auch vor zwei Wochen schon beschwert, dass es so kalt sei.

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