Shanghai – mein Leben als stummer Fisch

In meinem Profil habe ich als Spirit animal den Afrikanischen Buntbarsch angegeben. Eigentlich weil wir ein ganzes Aquarium davon in unserer WG stehen haben und mir diese Tiere sehr schnell ans Herz gewachsen waren. Nun kam eine weitere Dimension hinzu, denn seit ich in China angekommen bin, lebe ich wie unsere Fische ziemlich stumm. Aber dazu später.

Vor einer Woche bin ich in Shanghai angekommen. Die ersten Tage waren sehr anstrengend und ich möchte nicht verheimlichen, dass ich am Anfang mit dem Gefühl der Fremdheit und Einsamkeit in dieser großen, für mich völlig unbekannten Stadt Probleme hatte. Ich hatte in den ersten Tagen ehrlicherweise große Zweifel daran, ob ich mich hier wohl fühlen würde. Doch mit der Zeit sind diese Gefühle abgeflacht, hat sich mein Inneres geöffnet und ich konnte die schönen und vertrauten Dinge erkennen. Immer wieder fällt mir zum Beispiel eine Ähnlichkeit zu Süditalien auf. Das Verkehrschaos, die vielen Roller auf der Straße, der Lärm und der streckenweise üble Gestank. Die blühenden Oleanderbüsche, die eintönigen Häuserfassaden und die Männer, die auf der Straße kitschige Plastikspielzeuge verkaufen. Ob diese Ähnlichkeit wirklich besteht oder nur aus meinem Bedürfnis heraus illusioniert wird, hier etwas Vertrautes zu entdecken ist mir eigentlich egal.

Dennoch gibt es einen Faktor, der mich immer noch sehr beschäftigt und der mich vermutlich auch im Laufe meines Aufenthalts weiter beschäftigen wird: die Sprache.

Wie oft haben wir letztes Semester über den Zusammenhang zwischen Sprache und Kultur gesprochen. Wie herzlich haben wir über Herders blökendes Schaf gelacht. Seit einer Woche bin ich quasi meiner Sprache beraubt. Ich wurde in eine andere Kultur und Sprache geworfen und versuche langsam einen Einblick in beides zu erlangen. In Restaurants zeige ich auf die chinesischen Schriftzeichen für „Ich bin Vegetarier“. Für den Fall, dass ich ein Taxi zurück zum Campus nehmen möchte, trage ich immer die Adresse meines Wohnheims im Geldbeutel, natürlich auf Chinesisch. Und wenn ich meinen Schlüssel zum Wohnheim im Zimmer vergessen habe, bleibt mir nichts anderes übrig als wild auf die oberen Stockwerke des Hauses zu zeigen und einen verzweifelten Gesichtsausdruck aufzulegen.

Irgendwie versteht man dann aber doch erstaunlich schnell etwas, wenn auch nur einzelne Wörter. Aber immerhin kann ich schon „gibt es nicht“ verstehen, vielleicht auch einfach weil ich diese Worte schon so oft gehört habe. Die Dinge, die ich verstehe, kann ich allerdings bisher noch an einer Hand abzählen und so konzentriere ich mich nun mehr auf Gesichtsausdrücke und Gesten. Und irgendwie wird man auch selbst oft verstanden. Obwohl ich meist nur „I am sorry! I don’t speak Chinese.“ von mir gebe. Ich habe natürlich gehofft, dass viele Chinesen Englisch sprechen würden, aber ich musste feststellen, dass das nicht so ist. Nur sehr wenige Menschen sprechen hier Englisch. Dennoch ist es nicht ihre Schuld, dass wir uns nicht verständigen können und es liegt nicht an ihren mangelnden Englischkenntnissen. Sondern es liegt daran, dass ich mit der Erwartung in ein fremdes Land gefahren bin mich dort, wie gewohnt ausdrücken zu können. Ich hatte die lässige Einstellung, dass das schon alles irgendwie klappen würde. Und es klappt ja auch irgendwie, aber eben etwas umständlicher, mit Füßen, Händen und gefühlt jedem anderen Körperteil.

Hier in Shanghai zeigt sich wie geduldig man ist. Es zeigt sich wie flexibel man ist und wie viel man über sich ergehen lassen kann. So musste ich beispielsweise einfach akzeptieren, dass ich nicht wie in Deutschland zurück in den Supermarkt gehen kann, um mich zu beschweren, dass zwei Teile meiner neu erstandenen Kleiderstange fehlen, sondern ich habe mir stattdessen Klebeband gekauft und improvisiert. Man muss auch akzeptieren, wenn in einem bestellten Gericht etwas schwimmt, was man lieber nicht essen möchte. Dann fischt man eben nur den Brokkoli aus der Suppe und lässt die 1000jährigen Eier noch für weitere 1000 Jahre schwimmen. Und ja vielleicht habe ich auch bisher noch kein heißes Wasser in meiner Dusche, weil mir noch kein guter Weg eingefallen ist, wie ich dem Wohnheimangestellten vermitteln könnte, dass er mit auf mein Zimmer kommen soll, um mir dabei zu helfen den Boiler richtig einzustellen.

Und dennoch fühle ich mich längst nicht mehr so verloren wie noch vor einer Woche. Ich habe einige der einheimischen Codes bereits entwirrt, mir Tricks überlegt wie ich die Sprachbarriere überwinde und mich vielleicht einfach auch bereits ein bisschen an mein stummes Dasein gewöhnt.

5 thoughts on “Shanghai – mein Leben als stummer Fisch

  1. Wow Silvi super Text.Du schaffst das. Auch die Gestik ist eine Sprache 🙂 Sei stolz auf dich: Du wirst gegen Shangai gewinnen 🙂

  2. Echt beeindruckend, wie du das managst! Das wird bestimmt und immerhin schwimmen keine Tiere in der Suppe, wenn sie das Vegetarierzeichen verstehen 😉

  3. Go Silvi! Ich hoffe, du findest bald deine Sprache wieder, bzw. eignest dir die neue ein wenig an (wobei ich mir das wirklich sehr schwer vorstelle!). Du wirst bestimmt auch bald viele Menschen an der Uni kennenlernen, die Englisch sprechen und dann eine tolle, wortreiche Zeit haben! Genieße dieses Abenteuer und schwimm nicht zu viel im Kreis 😉 Pass auf dich auf und ich drücke die Daumen, dass du bald mit Händen und Füßen – ganz kreativ – nach Warmwasser fragen kannst.

  4. Es freut mich, von dir etwas zu hören. Ich glaub, dass du ein paar Tage nach diesem Bericht vielleicht Lösungen zur Bestellung vegetarischer Gerichte gefunden hast. Falls nicht, würde ich dir sagen, die Barriere kämen vielleicht nicht völlig aus der Sprache, sondern aus Gewohnheiten. In Ostasien hat die “vegetarische Kultur” sehr lange Tradition, mit der aber nicht die “vegetarisch”, stattdessen vielmehr “Vegan” gemeint wird. Die asiatische Vegan-Kultur stammt aus religiösen Gründen und dabei sind im Gegensatz zu der “westlichen vegetarischen Kultur” keine Eier und Milch erlaubt. Sogar muss für Vegan Gerichte mit ausschließlichen Kochsachen vom Fleisch getrennt gekocht werden.

    Aus den obig genannten Gründen entstehen in Ostasien viele Vegan-Restaurants(素食餐廳). Diese wären aber vielleicht nicht für dich richtig, denn die Gerichte dort sind oft vor allem bei “Pseudo-Fleisch” mit besonderen Geschmack, mehr Öl und künstlerischen Zutaten. Wenn du in einem normalen Restaurant eine “su shi”(素食) Gerichte bestellen möchte, bekommst du wahrscheinlich eine Verweigerung, weil damit normalerweise Vegan gedacht wird.

    Wenn man in Ostasien “vegetarische” Gerichte bestellen möchte, wäre es der einfachste Weg, “ohne Fleisch” zu sagen. Doch wenn du irgendwelches Fleisch inklu. Bratensaft auf keinen Fall essen möchte, dann solltest du dich erst an “su shi” Restaurants wenden.

    Ich hoffe, mit diesen Infos würdest du etwas geholfen werden. Ubrigens sind 1000-jährige Eier eine meiner Favoriten, deren chinesische Bezeichnung aber nichts mit 1000 Jahren oder so zu tun haben, sondern “皮蛋pi dan”(Leder-Eier) oder “松花蛋song-hua-dan”(pine-patterned eggs). :))

  5. Eine Liste von Ausdrucksarten von Essen ohne Fleisch wäre :
    素食[su shi],素[su]= Vegan, ohne Fleisch, Milch und Eier. Getrennt gekocht.
    蛋奶素[dan-nai-su]=Vegetarisch, Milch und Eier erlaubt.
    鍋邊素[guo-bien-su]=Vegetarisch, gemischt-Kochen erlaubt.
    宗教素[zong-jiao-su]=Vegan, aus religiösen Gründen
    蔬食[shu-shi]=vegetarisches oder leichtes Essen, aus gesunden Gründen

    Wenn du z.B. 素雞[su-ji] bestellst, bekommst du ein Stück Pseudo-Geflügel, das theoretisch aus Soja hergestellt werden. Für Bilder davon kannst du unter sehen: https://www.google.de/search?q=%E7%B4%A0%E9%9B%9E&rlz=1C5AVSZ_enTW606DE621&espv=2&biw=1228&bih=678&source=lnms&tbm=isch&sa=X&ved=0ahUKEwif34uh_YTPAhXFBBoKHcQPAGcQ_AUIBigB

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