Kaninchen, Monde und Laternen

Dieser Eintrag ist eigentlich ein Nachtrag. Die Zeit vergeht mal wieder schneller als ich sie in Worte und Artikel fassen kann…

Wie ihr vielleicht schon im letzten Artikel von Matthias gelesen habt, war die erste Oktober-Woche die „Golden Week“. In der Woche sind zwei Feiertage, der Nationalfeiertag und das „mid-autumn festival“. Mainland Chinesen haben deswegen die ganze Woche frei. In Hong Kong mussten wir uns mit nur zwei freien Tagen am Montag und Donnerstag begnügen. Bizarrerweise waren jeweils die Tage vorher, also Sonntag und Mittwoch, die eigentlichen Feiertage. Wie so oft lohnt sich aber auch in diesem Fall ein genauerer Blick, denn tatsächlich sind die Chinesen in diesem Fall sehr pragmatisch: Da die meisten Feierlichkeiten für beide Tage abends stattfinden, ist eben nicht der Tag an sich für alle frei, sondern der darauffolgende. Ziemlich clever!

Der Nationalfeiertag wurde in Hong Kong für meine Begriffe eher pflichtschuldig begangen. Außer einem Feuerwerk über dem Victoria Harbour am Sonntagabend und eben dem Umstand, dass der Montag frei war, ist nicht viel passiert. 13 Millionen Hong Kong Dollar wurden in 23 Minuten in Lichtkaskaden, Explosionen und dicken Schwarzpulverwolken in die Luft geschossen. Zugegebenermaßen das gigantischste und beeindruckendste Feuerwerk, das ich je gesehen habe! Und noch dazu aus der ersten Reihe, da wir früh genug dran waren und uns zu dritt Logenplätze auf der Dachterrasse einer Shopping Mall gesichert haben. Ein paar Fotos und noch mehr Zahlen könnt ihr bei der South China Morning Post nachlesen: http://www.scmp.com/news/hong-kong/community/article/2113603/quarter-million-turn-out-hong-kong-national-day-fireworks.

Interessanter fand ich das mid-autumn festival am Mittwochabend. Das Datum des Fests variiert jedes Jahr. Es wird immer am 15. Tag des 8. (Voll-)Monds des chinesischen Jahrs begangen, dieses Jahr der 4. Oktober. Dabei werden Laternen und Lampions aller Größen und Farben aufgehängt und von Kindern durch die Straßen getragen. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich die „traditionellen“, runden, chinesischen Papierlaternen oder die pragmatisch-modernen aus Kunststoff zum Aufblasen mit LED-Beleuchtung und vorzugsweise in Form von Comic-Helden lieber mag… Dieser Aspekt hat mich sehr an Sankt Martin erinnert. Auch wenn die Laternen hier als Gruß an den Mond und nicht für einen Heiligen aufgehängt werden. Insgesamt ist das mid-autumn festival das Fest des Mondes – damit kann man es wohl am besten beschreiben, nach allem, was ich bisher gehört und verstanden zu haben glaube. Es geht hauptsächlich darum, Zeit mit der Familie zu verbringen und „die Tradition“ aufrecht zu erhalten. Der Tag wird „immer schon“ mit einem großen Familienessen begangen, das möglichst spät abends anfängt, bei dem runde Dinge gegessen werden, z.B. Orangen oder die traditionellen moon cakes aus Lotussamenpaste und Eigelb. Währenddessen oder danach wird zusammen der Vollmond angeschaut und manchmal werden hot air balloons, in Europa auch als chinesische Feuerballons bekannt, fliegen gelassen. Mit Religion hat dieses Fest jedenfalls sehr wenig zu tun. Das zeigen auch die verschiedenen Begründungen, die ich dafür gehört habe.

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Moon cakes & Laternen, zwei elementare Bestandteile des mid-autumn festivals

Die erste hat mir ein Teamkollege beim Schwimmen erzählt. Und ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher, ob er mich nur veralbern wollte. Schön finde ich die Geschichte trotzdem: Die Armee / Untertanen / Revolutionäre wollten „during some dynasty“ den Kaiser absetzen. Die Botschaft, wann und wo man sich treffen wolle, schrieben sie auf Zettelchen, die sie wiederrum in kleine Kuchen einbuken. Somit wussten alle, wo sie sich zum nächsten Vollmond treffen würden, um den Herrscher zu stürzen. „A story of reunion“. Um dem zu gedenken, feiert man seither das mid-autumn festival.

Die weitaus häufigere, kitschig-romantische Version geht so: Die Mond- oder Himmelsfee war verliebt in einen Mann auf der Erde. Die Nacht, die heute das mid-autumn festival ist, war die einzige im Jahr, in der er sie im Himmel besuchen durfte. Oder die, in der sie ihn nach langem Verzehren endlich zu sich holte. Oder so. Irgendwo in dieser Geschichte gibt es auch noch mindestens ein weißes Kaninchen. Wie das genau da rein passt, habe ich nicht so ganz verstanden und wirklich stimmig kann mir das auch keiner erklären. Am „plausibelsten“ scheint mir, dass das oder die Kaninchen als Bote/n für die Liebenden funktionieren. Jedenfalls findet man rund ums mid-autumn festival überall Monde und weiße Kaninchen in den Supermärkten, auf Plakaten…

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Beide Erzählungen finde ich nicht besonders überzeugend und es scheint auch niemand so wirklich daran zu glauben. Daher tendiere ich sehr zur Erklärung unseres Professors, der uns in Hong Kong’s Heritage passend zur Saison eine Vorlesung über Hongkonger Feste gegeben hat. Für Prof. Hase wurde dieses Fest hauptsächlich eingeführt, um auch im letzten Quartal des Jahres ein großes Fest mit großem Festessen zu haben. Eine sehr pragmatische und sehr säkulare Überlegung. Alle pseudo-mythischen Erklärungen seien nachträglich entstanden und „very clearly made up“. Entscheidet selbst, wie überzeugend die Erzählungen oben sind 😉

Auf jeden Fall eine neue und ungewohnte Erfahrung, ein Fest oder einen Feiertag zu haben, dessen Ursprungserzählung so schwammig ist! Und es ist (trotzdem) ein schönes Fest für Familien und TouristInnen, die sich alle zusammen die die bunten Lampions und Lichtskulpturen anschauen und sich an moon cakes satt und rund essen können.

One thought on “Kaninchen, Monde und Laternen

  1. Liebe Anne, danke für diesen kleinen Feiertags-Einblick! Das mit dem Feiertag am Tag nach dem Feiern finde ich echt geschickt – sollte man mal übernehmen 😉
    Ich tendiere übrigens zu Geschichte n°2, zu den Liebenden im Himmel. Schön, dass Kitsch eben auf der ganzen Welt existiert! Und am besten ist das weiße Kaninchen da irgendwie irgendwo dazwischen – wie sollte eine Geschichte auch ohne weißes Kaninchen überhaupt funktionieren?
    Liebste Grüße und habt weiterhin viel Spaß!

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