Was Freiheit bedeuten kann

Oft werde ich gefragt: „Was vermisst du am meisten an Deutschland?“ (einer der Klassiker, der für gewöhnlich direkt auf „Gefällt es dir in Südafrika?“ folgt). Zu Beginn habe ich mich darauf beschränkt, leichte, unverfängliche Antworten zu geben. Eine davon war „die Auswahl an Brotsorten“ oder „dass ich dieses Jahr den Herbst nicht erleben kann, das ist eigentlich meine Lieblingsjahreszeit“. Schön unverfänglich. Und vielleicht etwas oberflächlich. Aber es sind ja oft die kleinen, unwichtig erscheinenden Dinge, die einem woanders am meisten fehlen. Auch, wenn es sich etwas oberflächlich anhören mag. Inzwischen hat mich diese Smalltalk-Eröffnungsfrage zum Nachdenken gebracht. Denn was ich mittlerweile wirklich an Deutschland vermisse, ist die Möglichkeit, mich frei bewegen zu können. Dahin zu gehen, wo ich möchte. Wann ich möchte. Einfach losziehen, ohne genaues Ziel, durch die Straßen schlendern, die Städte auf einen wirken lassen. Menschen beobachten. Neues entdecken, ohne es gesucht zu haben. Atmosphäre spüren, erleben, einsaugen. Zu jeder Tages- und Nachtzeit, wenn es sein muss. Das ist hier in Südafrika nicht möglich. Im Gegenteil, manchmal können sogar kurze Strecken zum Problem werden.

Zu Beginn meines Semesters habe ich das noch nicht so empfunden. Ich war darauf vorbereitet gewesen, dass das auf mich zukommen würde. Ich empfand es als neue Erfahrung, sogar als spannende Erfahrung, als etwas, das eben auch zu Südafrika gehört und an das man sich gewöhnen muss. Diese Empfindung ist natürlich immer noch da. Aber gleichzeitig habe ich erfahren, wie aufwändig, anstrengend, zermürbend es manchmal sein kann. Vor jeder größeren Unternehmung verhandle ich mit mir selbst. Die eine Seite: Es sind nur fünf Minuten bis zum Treffpunkt, es sind nur sieben Minuten bis zum Bahnhof. Zu Hause würdest du dafür keinen Gedanken verschwenden. Versuche es doch einfach mal! Es wird immer so viel dramatisiert. Was soll auf der kurzen Strecke passieren? Und dann die andere Seite: Aber es ist dunkel. Schon bei der Einführungsveranstaltung haben sie dich davor gewarnt, im Dunkeln alleine zu gehen. Niemand ist da alleine unterwegs. Lass es! Und dann komme ich mir lächerlich vor, wenn ich mir für kurze Strecken ein Uber nehme. Oder mich begleiten lassen muss, weil selbst die Uber-Fahrer keine Bahnhöfe oder Flughäfen mehr anfahren, um den teilweise sehr heftigen Übergriffen von anderen Taxifahrern – wie unlängst in Johannesburg geschehen – zu entgehen.

Eine Kommilitonin erzählte mir von ihrem damaligen Schüleraustausch nach Deutschland, in den Schwarzwald. Wie fasziniert sie gewesen sei, dass sie mit ihrer Gastfamilie am Wochenende einfach so durch den Wald habe laufen können. Dass sie sowas nicht gekannt habe und sich auch noch heute gut daran zurückerinnern könne. In diesem Moment habe ich für mich selbst festgestellt: Ja, irgendetwas fehlt mir hier. Mir fehlt die Möglichkeit, mich frei bewegen zu können. Und alles andere, was damit einhergeht. Eine Stadt und ihre Bewohner aus einem anderen, aus seinem ganz persönlichen Blickwinkel kennenzulernen. Mit Orten Empfindungen, Gerüche, Eindrücke verbinden zu können. Sich vielleicht sogar ein bisschen zu Hause zu fühlen. Zur Ruhe kommt man nur, wenn man in „die Natur“ fährt oder, ersatzweise, in Botanische Gärten. Dort kommt man zum Atmen, dort fühlt man sich etwas freier. Aber die Ausflüge dorthin müssen wiederum gut geplant und vorbereitet werden.

Immer wieder denke ich: Nimm es nicht zu schwer, übertreib es nicht. Dann werde ich an der Supermarktkasse beinahe beklaut, bemerke es zum Glück gerade noch rechtzeitig. Und ich komme wieder auf den Boden der Tatsachen zurück: Die Vorsicht und das Misstrauen sind eben nicht übertrieben. Es kann immer etwas passieren. Und dann, am Ende, frage ich mich: Wie lange werde ich wohl brauchen, um dieses Denken abzulegen, wenn ich wieder zu Hause bin? Wie lange werde ich bei jedem Gang vor’s Sicherheitsgate (dann wieder Haustür) meine Taschen aus- und umräumen, um möglichst nur das Nötigste dabeizuhaben? Ein wenig wird es sicherlich dauern. Südafrika ist ein demokratisches Land, und sicherlich ist man hier in sehr vielen Dingen freier als anderswo auf der Welt. Im Gesamten fehlt es mir an nichts, und das ist keinesfalls selbstverständlich. Aber frei bewegen und völlig unbedarft aus dem Haus gehen kann ich hier nicht. Jeden Tag laufe ich an Zäunen, Gittern und Eisenstangen vorbei, die die Häuser, die Gärten und sonstige Einrichtungen von den Straßen trennen. Uneingeschränkt durch Straßen und Städte laufen zu können, gehört wohl auch zum Begriff Freiheit. Was und wieviel diese Freiheit bedeuten kann, habe ich hier in jedem Fall erfahren.

 

 

2 thoughts on “Was Freiheit bedeuten kann

  1. Liebe Sophia,

    Ich kann gut verstehen, dass dir die Möglichkeit, dich frei zu bewegen sehr fehlt. Gerade da Sicherheit für uns zu Hause eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist und wir uns unbedarft bewegen. Der Begriff “Freiheit” impliziert so viel, an das wir sonst vielleicht gar keinen Gedanken aufwenden. Obwohl wir uns hier frei bewegen können, fehlt mir hier die Möglichkeit frei zu sprechen. Ganz besonders in den Seminaren, wo kein Raum für Diskussionen oder Fragen gegeben wird und wir teilweise einfach gezwungen sind, das Gesagt als war hin zu nehmen.
    Wenn wir wieder zurück sind unternehmen wir mal alle eine schöne Bergwanderung und genießen Bewegungs-, und Redefreit und die frische Luft.
    In diesem Sinne und mit den Worten unserer chinesischen Reiseleiterin beim letzten Ausflug: “Be safe and pay attention to safety” wünsche ich dir noch eine gute Zeit.

    Liebe Grüße, Matthias

  2. Danke, Matthias, für deine Wünsche. Du hast Recht – zum einen ist Freiheit auch immer eng mit dem Konzept “Sicherheit” verbunden, zum anderen kann sich “Freiheit” auf verschiedene Art und Weise äußern (und jeder scheint gerade in mindestens einer davon eingeschränkt zu sein).
    Ich freue mich jedenfalls schon sehr auf unseren Ausflug “in die Freiheit” – sehr gute Idee! 😉
    Bis baaald!

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