Ich rieche immer nach Chlor

Inzwischen ist Alltag in mein Leben eingekehrt. Geholfen hat mir dabei vor allem das Schwimmtraining. Einziger Nachteil: ich rieche immer nach Chlor.

Step 1: Caltopia

Die Sportteams haben sich am Anfang des Semesters auf einer riesiegen Messe mit vielen Geschenken, Gratis-Essen und Gutscheinen vorgestellt. Dieses Event heißt „Caltopia“ und danach sind wir alle mit riesen Beuteln voller neuer Errungenschaften vom Plastikbecher, über Sporks, endlos viele Chipstüten bis zu Wasserflaschen und Wäschesäcken nach Hause gelaufen. Da wir auf dem Berg wohnen war das schwieriger, als es klingt! Auf dieser Messe bin ich an zahlreichen Schlangen vorbei als erstes zum Wasserball-Tisch gelangt. Die Wasserball-Vertreterin war gleich super nett zu mir und hat mir die witzige Geschichte einer Französin erzählt, die letztes Jahr in ihrem Team war und eigentlich Synchronschwimmerin ist. Da es doch nicht für jeden Sport einen Club gibt, ist sie kurzerhand dem Water Polo Team beigetreten. Auf jeden Fall klang das nach einer super Möglichkeit Freunde zu finden und so habe ich mich auf die Mailingliste eingetragen. Nachdem ich schon meinen zweiten Gratis-Kaffee, Laura an der Klimmzugstange der Marines angefeuert und einen organic yoghurt in der Hand hatte, habe ich auch endlich den Schwimmteamstand gefunden. Natürlich kann ich nicht dem bekannten Team beitreten, welches die Sportler mit Stipendien lockt und welches zu einem Großteil zu Beginn des Semesters in Rio angetreten ist. Ich hoffe trotzdem, irgendwann mal Ryan Murphy zu begegnen… Doch dafür gibt es hier wohl zu viele Pools.

Step 2: Calm Swimteam

Coach Tiffany, die ich auf der Messe kennen gelernt habe, ist Leiterin vom Calm Schwimmteam, das gar nicht so Calm ist, wie es klingt. Jeder kann sich selbst aussuchen, wann er oder sie zu den jeweiligen Trainingszeiten kommen möchte. Die Auswahl reicht von 6, 7 oder 8 Uhr morgens an Wochentagen, über 11 Uhr mittags bis 18 Uhr abends. So habe ich mir meinem Stundenplan entsprechend jeweils drei acht-Uhr-Trainingseinheiten vor die Unikurse gelegt und gehe je nach Zeit, Laune und Muskelkater auch (noch)mal um sechs. Die Bahnen sind nach Zeitintervallen eingeteilt, die man tendenziell für 10 100-yard Bahnen halten sollte. Bei 6 Bahnen geht es bei 2 Minuten los bis hin zu 1:15. Der August war noch komplett gratis und so konnte ich erst einmal schauen, wie es mir dort gefällt und wie ich mich zurechtfinde. Dabei ist mir wieder einmal aufgefallen, wie die kleinsten Dinge in einer neuen Umgebung noch nicht selbstverständlich sind und einen aus der eigenen Komfortzone zwingen. Irgendwie fängt man immer wieder bei null an – wo ist überhaupt der Pool? Finde ich den Weg mit meinem Fahrrad? Wo ist der Eingang zum Becken? Schließen alle ihre Sachen in die Locker oder werden die mit rausgenommen? Ist das überhaupt wichtig? Warum mache ich mir darüber so viele Gedanken? Und wenn ich zum ersten Mal etwas Neues starte, muss ich mich immer erst dazu überreden – zu Hause im Bekannten bleiben, wäre jetzt doch eigentlich viel bequemer! Und wahrscheinlich sind hier eh alle viel zu schnell für mich. Doch dann raffe ich mich auf und habe es bis jetzt noch nie bereut! One gets the hang of it quickly!

Step 3: Schwimmen!

Auch diesmal war es so und da ich sicherheitshalber erst einmal in der langsamsten Bahn angefangen habe, hatte ich auch schnell erste Erfolgserlebnisse und bin in der Bahnenhierarchie schnell aufgestiegen. Mein Team ist ganz bunt gemischt, aber im Gegensatz zu den anderen Studenten, denen wir hier begegnen, eher älter. Ich schwimme mit anderen, die bereits arbeiten, teilweise Professoren an der Uni sind und natürlich sind auch hier, wie gefühlt überall in Berkeley, einige Deutsche. Nachdem ich einem meiner Professoren vom German Department von meinem Team erzählt habe, hat er sich herzlich darüber amüsiert, dass ich mit Senior Citizens schwimme und darum mit nassen Haaren in seinem Kurs sitze. Doch ich bin wirklich froh und fühle mich von allen herzlich aufgenommen. Die meisten können meinen Namen. Ich hingegen nahezu keinen. Obwohl Tiffany, unser Coach, sich viel Mühe gibt, dass wir immer wissen mit wem wir da eine Bahn teilen und selbst alle Namen super schnell gelernt hat. Das Training selbst ist abwechslungsreich und macht viel Spaß. Mal haben wir Technik-Tage, mal Ausdauer. Und wenn mir ein Work-Out am Morgen besonders gefällt, schwimme ich es abends noch einmal mit. Außerdem haben wir auch alle möglichen Trainingsutensilien: Paddles, pull buoy, Schwimmbretter und Flossen in allen Größen. Da war der Trainingsbeitrag eine lohnende Investition für mich! Tiffany hat auch stets bemerkenswert gut alles im Blick und weiß häufig besser, was ich als nächstes Schwimmen soll, als ich selbst.

Step 4: There’s more… (nur weil es sich so schön reimt)

Seit zwei Wochen wollte ich dann noch etwas Neues ausprobieren – mal wieder aus meiner Komfortzone austreten – und bin zum Wasserballtraining gegangen. Hier sind wirklich alle Mädels Studenten und nahezu jede Übung, die wir in den zwei Stunden im Wasser machen, ist neu für mich. Ich habe Glück, da sich das Team derzeit in einer Art Zwischenphase befindet, in welcher ein neuer Coach gesucht wird und wir uns so erst einmal auf das gegenseitige Kennenlernen und nicht auf die Wettkampfvorbereitung konzentrieren. Perfekt für mich! Auch hier kennen langsam fast alle meinen Namen, freuen sich mich widerzusehen und erkennen mich auch außerhalb vom Training wieder. So sind es hier definitiv eher meine Teamkolleginnen, die mich dazu motivieren aus meiner Komfortzone zu treten, als die neuen Übungseinheiten. Hinzu kommen immer wieder etwas abschreckende Mitteilungen, zum Beispiel, dass wir alle zum Gehirnerschütterungstest gehen müssen und im Spiel eigentlich immer gefoult wird, um an den Ball zu gelangen. Ich bin mal sehr gespannt, was da noch auf mich zukommt.

Meinen Auslandsduft habe ich hiermit auf jeden Fall auch gefunden.

One thought on “Ich rieche immer nach Chlor

  1. Allerliebste Josie,
    das hört sich toll an! Ich schwimme im Gedanken mit dir mit! Voll toll, dass die Uni so viele Sportkurse auch für diejenigen anbieten, die keine Division 1 Atlethen sind.
    :*

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