Auf in die Wildnis

20160729_202823  Wir starteten in Oberstdorf. Zuerst musste man sich vor allem an das Gewicht des Rucksacks gewöhnen. Ich habe noch nie über längere Zeit, geschweige denn Tage, 8 Kilogramm auf meinem Rücken getragen. Dafür ist der Einstieg in Oberstdorf ideal. Die ersten 10 Kilometer gehen relativ gerade ohne viel Anstieg auf die Spielmannsau. Dort begegnete man bereits den ersten, noch frischen Gesichtern, die einen die nächsten Tage begleiten werden, denn die nächsten Tagesziele sind für alle Wanderer die Gleichen. Bis zur Spielmannsau findet man sich gut mit seinen neuen Utensilien zurecht. Das hantieren mit den Stöcken, wie binde ich meine Schuhe, wie stelle ich das Rückenteil meines Rucksacks ein. Danach kommt der erste Aufstieg auf die Kemptner Hütte. Über 6,4 Kilometer überwindet man 800 Höhenmeter. Mit Zuganfahrt und einer Gehzeit von circa viereinhalb Stunden waren wir um circa 16.00 auf der Hütte angekommen. Verschwitzt, zufrieden mit der Tagesleistung und vor allem bereit für die erste Dusche. Doch dieser vermeintlich kleine Luxus war uns bereits nicht vergönnt. Der Sonnenschein, mit dem wir starteten, war verschwunden und dunkle Gewitterwolken waren aufgezogen und somit lautet der Satz des Hüttenwirts:”Warm Wasser gibt es nur, wenn die Sonne scheint.” Also habe ich kalt geduscht, sehr kalt, aber immer noch besser, als nach Schweiß zu riechen und auch das ist ja mal eine Erfahrung. Nach einer sehr guten Mahlzeit, der Freude vor dem großen Regenschauer auf die Hütte gekommen zu sein, beginnt der gemütliche Teil des Abends. Man sitzt zusammen und unterhält sich, tauscht sich mit anderen Wanderern aus. Die meisten gehen den E5 und so hat man schnell ein gemeinsames Thema. Erschöpft vom Tag ging es um 20:30 ins Bett, denn der nächste Tag beginnt um 5:30 und mit der Aussicht auf eine sechsstündige Wanderung mit einem Auf- und Abstieg und einem erneuten Aufstieg zur Memminger Hütte, die auf 2°242 Meter liegt. Nach der Besteigung des ersten Gipfels verlassen wir Deutschland. Der Weg ins Tal ist ein stufenartiger Abstieg über die steinaufwürfe des Berges und Geröll. Leider wird mir genau dies zum Verhängnis. An einem glatten Stein rutsche ich aus und verdrehe mir mein Knie. Nach dem ersten Schock ist klar, es tut zwar weh, aber ich kann mein Knie bewegen. Es ist vermutlich eine Zerrung. Kurz vor dem Holzgau, dem Ende unseres Abstieges, geht es nochmal über eine abenteuerliche Hängebrücke. Sie ist zweihundert Meter lang und geht hundert Meter in die Tiefe. Der Brückenboden besteht nur aus Gitter und man bekommt in der Mitte einer stark wackelnden Brücke ein leicht schwumriges Gefühl, wenn man direkt nach unten blickt. Ein Taxi überwandt für uns die Strecke durch das Tal bis unterhalb der Memminger Hütte. Der Aufstieg ist auch hier steil über Geröll und Geröllfeldern vorbei an einem Wasserfall. Oben zogen die Wolken immer weiter zu. Nach dem überschreiten einer Schmalstelle lag die Hütte in einem Bergkessel vor uns. Schnellen Schrittes, mit dem Ziel vor Auge und angetrieben von den ersten Regentropfen, war unsere zweite Tagestour beendet. In der Hütte gab es gleich zwei freudige Nachrichten. Erstens: ich muss nicht auf einem Notlager schlafen und zweitens: es gibt warmes Wasser für eine Duschzeit von vier Minuten (die Zeit läuft auch, wenn das Wasser nicht läuft). Frisch gewaschen, verbrachten wir den Nachmittag auf der Hütte, begrüßten Wanderer, beobachteten Murmeltiere und eine Steinbockherde, freuten uns, dass wir vor dem großen Hagelschauer angekommen waren und sahen zu, wie der Hüttenwirt einen der Berge, die die Memminger Hütte umgeben, erklommt, um im Tal eine Bestellung auf zu geben, denn nur dort hat man Handyempfang.

Abends saßen wir mit gleichgesinnten E5 Wander20160729_200842en zusammen und redeten über die Strapazen der letzen Tage, ob man schon lange wandert, aber auch über persönliches. Unser Tisch bestand aus einem jungen Ehepaar, John und Evamaria, er ist Amerikaner, sie Deutsche und einer dreier Frauengruppe. Auch andere Wandere kamen einem nun bekannt vor. Man traff sich bei Auf- und Abstieg und in den Hütten, alle die wir nicht persönlich kennenlernten, bekammen Spitznamen. So haben wir einen Bergführer, der zwei Männer anleitete: unseren Berghahn getauft. Seinem Namen verdankte er seinem Hut, dessen Seite eine Feder des gleichnamigen Tieres zierte. Sein Bart war gezwirbelt und zu Schnecken aufgedreht und egal zu welchem Zeitpunkt man ihn betrachtete, stand er in einem typischen bergmännischen Kontrapost. Ein Bein nach vorne, die Brust geschwellt, links und rechts die Wanderstöcke in der Hand. Der einsame Wolf: ein weiterer Bergführer, der mit uns auf der Memminger Hütte ein Zimmer teilte und kein Wort mit uns wechselte, erst als er nach zwei weitern Tagen merkte, dass wir das gleiche Tempo wie er gingen und uns sportlich in seinen Augen bewiesen hatten, sprach er uns freundlich an. Das Geschwisterpaar, dass an allen vorbeipreschte, mit dem Vater, der gemütlich hinterher wanderte. Der Naturburschi, der immer Barfuß in den Hütten herumliefft, vor den Hütten zeltete und sein gesamtes Essen für neun Tage in einem 24 Kilo schweren Rucksack trug. Der stinkende Iltis, ein Mann der mit uns in Zwieselstein das Zimmer teilte und sich nicht wusch. Sie alle gingen den E5 und wurden zu vertrauten Größen, an denen man seine Gehzeit messen konnte, Worte der Ermutigung austauschte oder einfach stummnickend überholte, da man einfach außer Atmen war.

Am dritten Morgen hatt sich eine Routine eingestellt, schnelles waschen, Sachen aus dem Trockenraum holen, frühstücken, der Berg ruft. Der Aufstieg zu Überquerung des Bergrücken war steinig und steil. Jeder Schritt musste sitzen. Die letzten Meter hin zum Bergrücken, waren vergleichbar mit einem schmalen steinigen steilen Durchgang. Links ist ein Seil angebracht an dem man sich auf allen vieren hochzog. Die Bergsenke aus der man gestartet war, lag noch im Schatten, die Sonne schien auf der anderen Seite des Berges. Dann um acht Uhr in der Frühe überquerte ich den Bergrücken und hielt den Atem an. Ich habe so etwas noch nie gesehen – vor mir Nebel, Sonne und Bergspitzen. Es traff mich, ich war noch nie so hoch geklettert und ich hatte einen solchen erhabenen Eindruck noch nie in echt gesehen. Auf diesen Moment folgten 2000 Meter Abstieg über Geröll, an steilen Abhängen vorbei und über Kuhwiesen. Die schlimmsten davon sind die letzen eineinhalb Stunden. Man sieht sein Ziel- Zams, ein kleiner Ort in Österreich, aber man kam ihm nicht näher. Geschafft und völlig genervt gelangten wir ins Tal. Meine Eltern fuhren gleich weiter auf die Mittelstation, wo sie die Nacht verbrachten. Ich hingegen verbringe sie im Dorf. Oder eher gesagt in der Nähe des Dorfes. Die nette Dame an der Touristeninformation meinte: “20 Minuten den Berg hoch von hier.” Nachdem sie mein wohl leicht entsetzten Blick und die grimmige Entschlossenheit in meinen Augen, dass ich heute ganz sicher keinen Fuß mehr vor den anderen setzten werde, gesehen hat, fügte sie an: “Sie haben aber auch einen Shuttelservice, der sie abholen kann, aber erst ab drei Uhr.” Ich war erleichtert. John und Evamaria, die ungefähr die gleiche Zeit wanderten wie wir, sitzen schon im Kaffee. Man kannte sich jetzt, also setzte ich mich dazu und wir amüsierten uns herzlich über das Essen, das John bestellte. Vier belegte Brötchen und ein großes Kuchenstück und redeten. Ich entspannte, meine schlechte Laune verflog bei einem heißen Kakao. Im Gasthof bezogich mein Zimmer, doch auch hier wurde ich von dem E5 eingeholt. Die Frauengruppe des Abends davor und ein paar andere E5 Wanderer waren allesamt im Gasthof untergekommen. Aus einem Abend alleine ist eine große gesellige Runde geworden.

Der nächste Tag bestand für uns nur aus einem Aufstieg auf die Braunschweiger Hütte, die höchst gelegene Hütte unserer Tour auf 2700 Meter. Vom Mittelberg, einer Ansammlung von drei Häusern, schickten wir unsere Rucksäcke mit der Materialseilbahn auf die Hütte. Man ruft durch ein Kurbeltelefon bei der Hütte an, diese schickte die Seilbahn nach unten. Der Wirt meinte dann vergnügt am Ende des Gesprächs: “Legen Sie die Rucksäcke einfach drauf und kommens hoch.” Er ließ es klingen, als wäre ich in zehn Minuten bei ihm und als würden nicht 900 Höhenmeter zwischen uns liegen. Der Aufstieg zur Braunschweiger Hütte war einfach und man kann es nicht anders ausdrücken cool. Es ging vor allem über Steinstufen steil Berg auf. Die meiste Zeit sind die Passagen durch ein Seil in der Felswand, an dem man sich festhalten kann, gesichert. Bis jetzt waren wir immer eine halbe Stunde länger gegangen, als die veranschlagte Zeit, doch auf die Braunschweiger Hütte preschten meine Mutter und ich hoch, mein Vater ein bisschen gesetzter hinterher. Wir waren in zweieinhalb Stunden oben, Rekordzeit und haben, wie meine Mutter schelmisch feststellte, viele überholt die jünger sind als sie. Oben angekommen ist man umgeben von Gletschern. Der Blick ist atemberaubend und atemraubend, denn auf 2500 Meter wird die Luft dünner. Meine Mutter vergoß Freudentränen. Für sie war ein Wunsch in Erfüllung gegangen. Sie ging den E5 trotz ihrer gesundheitlichen Probleme und trotz ihrer starken Schmerzen in den Beinen. Ich war stolz. Stolz auf meine beiden Eltern, die mit Ende Fünfzig noch ein solches Abenteuer begingen und das auch noch in einer super Wanderzeit gehen. Mehrmals wurde ich auf der Tour angesprochen, das meine Eltern super nette und fitte Menschen sind. Der restliche Nachmittag unterschied sich nicht von den anderen Hüttennachmittagen. Duschen (zwei Minuten heißes Wasser), trinken und essen (das beste Hüttenessen auf der gesamten Tour und wir hatten nie schlecht gegessen) und geselliges Beieinandersitzen. Am nächsten Tag der Aufstieg auf 2996 Meter, als ich am Gipfel stand mit meinen 1,83cm fehlten nur noch knapp zwei Meter zu 3000 Meter. Dann der hässliche Abstieg durch ein Skigebiet, auch der Gefährlichste. Durch den Schneefall der letzten Woche mussten wir die steile Piste absteigen. Unter uns gurgelte das geschmolzene Wasser. Dann links am Ber20160729_185857g entlang am Ende des Schneefeldes und am Anfang eines Geröllfeldes. Die Steine lagen allesamt lose. Wir traten mehrere Steinabgänge los und hofften, dass wir nicht selbst mit einem in die Tiefe rutschen. Circa 250 Meter zittern und bangen, aber auch das schafften wir. Danach folgte der gemütliche Abstieg bei praller Sonne nach Zwieselstein.

Der nächste Tag war der letzte. Wir wollten über das Timmelsjoch nach Italien, kein schwieriger Auf-und Abstieg aber ein langer. Jedoch machte uns das Wetter am nächsten Tag einen Strich durch die Rechnung. Im Gegensatz zu den vorherigen Tagen, an denen, wenn dann nur ab Mittag, das Regnen angefangen hatte, regnete es sich ab der Früh um Sieben ein. Wir beschloßen, mit dem Bus auf das Timmelsjoch zu fahren und von dort nur abzusteigen – eine gute Entscheidung. Oben am Berg sah man gerade mal 20 Meter weit, der Wind sauste uns um die Ohren und der Regen trommelte auf unsere Mäntel. Zum Glück war der Abstieg nur die erste Stunde steil und ging dann in sanft abfallendem Kuhwiesen über. Bald klarte der Himmel wieder leicht auf. Der restliche Abstieg nach Moos war durchwachsen mit Nebelfeldern und Sonnenstrahlen. Am Ende wartete unser Gasthof mit seinem netten Besitzer, der sich vorstellt “Ich bin der Thomas und wir haben schon den Pizzaofen angefeuert. Ab Fünf gibt’s selbstgemachte Pizza!” – ein perfektes Ende nach diesem Tag. Am Nächsten fuhren wir weiter nach Meran und verbrachten den Nachmittag in der erst neu renovierten Therme und entspannten unsere Muskeln mit Saunagängen und Whirlepools. Meine Eltern und ich hatten es geschafft. Wir waren in sechs Tagen über die Alpen gegangen. Ein tolles und einmaliges Erlebnis.

4 thoughts on “Auf in die Wildnis

  1. Starke Leistung! Das muss so ja schön gewesen sein! Ich glaube, ich muss diesen Weg im nächsten Jahr auch mal gehen. Danke für diesen “appetizer” 😉

    1. Ella mach das unbedingt! War wirklich eine tolle Erfahrung, die dir bestimmt auch viel Spaß machen würde.

  2. Wow Kathi. Ich hoffe, ich kann mich auch überwinden und so lange wandern. Du bist mein Vorbild- ich werde es hier versuchen:) Ich hoffe deinem Knie geht es gut. Schöne Bilder – natürlich gehen die Gedanken an die Vorlesung 🙂

    1. Knie wird wieder langsam besser. Es ist jetzt rosa getaped, also kann es ja nur besser werden 🙂

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