Die Kreuzung im Mittelmeer…

Ich sitze gerade am Flughafen, muss noch 5 Stunden auf meinen Flug nach Berlin warten und nach einer ziemlich tränenreichen Abschiedsnacht kann ich die Wehmut nicht mehr leugnen, die ich so lange versucht habe zu verdrängen und für die sowieso überhaupt gar keine Zeit war. Nicht nur die mehr oder weniger ziemlich intensiven letzten Wochen des Semesters haben mich davon abgehalten, meine Zeit auf Zypern so richtig zu reflektieren – eigentlich war ich seit meiner Ankunft Ende August fast ständig unterwegs, überwältigt und überfordert.

Zuerst waren es die gewöhnungsbedürftige Hitze und die vielen neuen Begegnungen mit Menschen, die man nach etlichen Lockdowns endlich wieder fast unbeschwert treffen konnte, die mich kaum zur Ruhe kommen ließen. Zu aufregend war die Zeit, als mich meine FOMO nach Monaten der Pandemie mal wieder gepackt hat und mich jeden Abend zu einer anderen Bar, Dachterrasse oder mittelmäßigen Erasmus-Party treiben ließ.

Vom westlichsten Zipfel des Südens (Akamas Nationalpark)…

Zu viel gab es zu erkunden – in Nikosia und dem Rest der doch nicht ganz so kleinen Insel. Jeden freien Tag ging es an einen anderen Strand, mit der Angst, dass der kalte Herbst bald kommen würde – so richtig kam der zum Glück erst Ende November, sodass ich doch in einigen ganz schönen Buchten für viele Sonnenstunden gelegen bin. Busfahrten und Roadtrips führten mich zu Ausgrabungen, Weinbergen, Küstenorten und Bergdörfern –  in den „griechischen“ Süden und den „türkischen“ Norden.

… zum allerschönsten, östlichsten Strand des Nordens (Golden Beach)

Die Klimaanlagen liefen irgendwann so sehr auf Hochtouren, dass im Oktober die große Erkältungswelle umging und ich meinen hartnäckigen Husten über mehrere Wochen nicht loswurde. Zeit zum Erholen wollte ich mir jedoch nicht nehmen  – Festivals in Wald und Pufferzone und Erkundungstouren in Nikosia holten mich aus dem Bett und ganz nebenbei habe ich es tatsächlich auch sehr genossen, meine Zeit an einer offenen Universität zu verbringen, in Seminarräumen zu sitzen und mit meinen Mitstudierenden viel zu viele zypriotische Frappees zu trinken. Besinnung kam auch jetzt mit der Vorweihnachtszeit nicht, eher der Druck, alle Abgaben und Klausuren zu schaffen und gleichzeitig vieles noch zu unternehmen, was eben noch unternommen werden musste.

     

Jetzt aber, nur ein paar Stunden bevor es wieder zurück in die kalten, mitteleuropäischen Breitegrade geht, muss ich kurz innehalten und mir erstmal bewusst machen, wie verrückt schön diese letzten Monate waren und wo ich diese eigentlich genau verbracht habe. Es ist nur den vielen Umstände sowie meiner covidbedingten Absage aus Kanada zu verdanken, dass ich überhaupt daran gedacht habe, hierher zu kommen. Rein gar nichts wusste ich von diesem mystischen Stückchen Land mitten in der Levante, um das Jahrhunderte lang gestritten wurde, vor dessen Küsten Aphrodite geboren wurde, wo es mehr Straßenkatzen als Menschen gibt, Halloumi ohne Ende hergestellt wird… und, was mich als GESlerin natürlich besonders gereizt hat: Zypern, das sich ganz weit am geographischen und geopolitischen “Rand” befindet, auf kontinentalen Ansichten teilweise gar nicht erfasst wird und, wie es Elif Shafak so schön in ihrem neuen Roman Das Flüstern der Feigenbäume beschreibt, an der Kreuzung dreier Kontinente liegt – Afrika, Asien, Europa.

Oft habe ich diese europäische Ecke und Komfortzone, aus der ich ja eigentlich einmal raus wollte, schon sehr stark gespürt. Es sind Kleinigkeiten, die mich daran erinnert haben: die organisatorische Sicherheit durch das Erasmus-Programm, die Unkompliziertheit des Euros, die Unbeschwertheit, wenn ich mich hier mithilfe von Englisch, Deutsch und weiteren bekannten Sprachfetzen ohne Probleme unterhalten konnte. Die Europäer:innen mit denen ich die meiste Zeit verbrachte sowie die fast ausschließliche Beschäftigung mit den großen Denkern der Kulturgeschichte, die unserem Kontinenten entstammen (mit Platon fängt hier offenbar jedes Seminar an, endet mit Foucault und Marx). Es sind genau diese Dinge, denen ich eigentlich entkommen wollte… und doch spürte ich manchmal auch sehr wohl die Grenzen dieser Bequemlichkeit, dem mir vertrautem Territorium, Europa.

Die wohl stärkste dieser Grenzen verläuft quer über die Insel, trennt ihre Bewohner:innen nun schon bald seit 50 Jahren und tatsächlich scheint es so, als würde man Europa hinter sich lassen, sobald man es an der südlichen Grenzpolizei vorbei geschafft hat, durch die verlassenen Pufferzone geschlendert ist und die Türkisch sprechenden Beamt:innen von der Einreise überzeugen konnte. Es sind nicht nur die Sprache oder die momentan äußerst günstigen Lira-Preise, die dieses Gefühl hervorrufen – auch orientalische Gerüche und Gerichte, heruntergekommene Gebäude, die lauten Muezzin-Rufe und diese gewisse Ehrfurcht, mit der ich mich als offenbar Ortsunkundige durch die Straßen bewege, verstärken dieses Fremde, welches immer mit einem leicht bitteren Beigeschmack behaftet war.

Dass die Wunde, die 1974  durch die politische Teilung der Insel aufgerissen wurde, noch lange nicht verheilt ist, habe ich jedes Mal gemerkt, wenn ich darüber mit ZypriotInnen aus dem Süden und dem Norden gesprochen habe, wenn sich jeder Grenzübertritt immer noch seltsam angefühlt hat und mir regelmäßig bewaffnete UN-Soldat:innen und Militär aus beiden Ländern über den Weg gelaufen sind, die die „Stellung halten“. Hier wäre nicht genug Platz und auch steht es mir gar nicht zu, mehr über die Spannungen auf der Insel zu schreiben. Was ich nämlich jedoch gelernt habe ist, noch sensibeler in Sprache und Verhalten zu sein, egal ob im Süd- oder im Nordteil, dass schon alleine die Bezeichnungen, die man für beide Länder verwendet von großer Bedeutung sind und dass man am besten einfach nur zuhört. Dieses Verständnis möchte ich mit nach Konstanz nehmen und noch ganz viel mehr über koloniale Auswirkungen, kulturelle Identitäten, Orientalismus und europäische Außengrenzen lernen – auf Zypern oder sonst wo auf unserer Welt.

Es ist ziemlich unbefriedigend, jetzt zu gehen und mit diesem Gefühl, als hätte ich Zypern in dieser kurzen Zeit irgendwie nicht ganz greifen können. Zu kompliziert ist dafür die kulturelle Vergangenheit der EinwohnerInnen, an die ich mich als Außenstehende nur vorsichtig heranzutasten wagte, die Sprache, von der ich in den dreieinhalb Monaten leider nur einzelne Phrasen gelernt habe. Schließlich die Insel doch zu groß, um alle Orte sehen und miteinander verknüpfen zu können. Nicht nur wehmütig verlasse ich Nikosia, sondern auch enorm dankbar, mit unendlich vielen unbeantworteten Fragen und vor allem mit ganz viel brennender Neugier an dieser Kreuzung im Mittelmeer nochmal anders abzubiegen. Αντίο σας!

 

 

 

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