Einer dieser regnerischen Sonntage. Nur dass gar nicht Sonntag ist. Man kann den ganzen Tag in der Bude rumhängen. Die Sonne provoziert einen nicht, irgendetwas total Tolles und Außergewöhnliches draußen unternehmen zu müssen. Nein, man kann zu Hause bleiben. Die einzige Langstrecke, die ich zu absolvieren habe, führt in die Küche für den fünften Kaffee. Und damit meine ich nicht so einen ollen Starbucks-Kaffee, sondern schön frisch aufgebrühten Arabica. Das Kaffeepulver ist Overseas einfach mal so viel besser als in Deutschland. Kaffee, dat können ‘se, die Kanadier.
Statt mich also im Park von Eichhörnchen provozieren zu lassen, die – eben noch akribisch im Müll wühlend – nun nach meinen Käsekräckern stieren, schaue ich mir einen französischen Film für ein Seminar an. Denn wir sind ja hier im nicht-europäischen Ausland, um einen Blick auf Europa mittels Außenperspektive zu erhalten.
Der Film heißt „Trois Couleurs: Blanc“. Er verspicht alle Klischees, die ein französischer Film so beinhalten sollte. Obwohl der Regisseur aus Polen kommt. Also doch kein französischer Film jetzt, oder was? Egal, irgendetwas mit Europa halt. Der Klischee-Arthouse-Film: Man nehme verzweifelten Protagonisten, der von Frau (klaro – die Frau ist wunderschön, weil Französin, wohingegen der Held der Geschichte eher so …) verlassen wird, da diese an den gemeinsamen Koitus-Interaktionen einiges zu bemängeln hat. Aber natürlich wäre es zu einfach, wenn sie ihn schlicht rausschmeißen würde. Stattdessen legt sie Feuer in seiner Bude. Andere Figuren tauchen aus dem Nichts auf und verschwinden wieder ohne ersichtlichen Zweck für den Rest der Handlung. Eine Waffe kommt auch vor. Hätten wir mal lieber den Tatort mit Till Schweiger analysiert. Das ist Europa! Da gibt’s auch Waffen, bestes German-TV. Ob nun Europa oder nicht. „Trois Couleurs“ entzieht sich très meinem Verständnis. Und darüber muss ich jetzt auch noch einen Vortrag halten.
Denn ja, ich gestehe es als angehende Kulturwissenschaftlerin. Statt Programmkino habe ich manchmal auch einfach so richtig Bock auf Blockbuster. Freue mich jetzt schon wie ein Doofie auf den neuen Phantastische Tierwesen-Film (der Trailer verspricht coole magische Tiere, eine Menge Explosionen, Johnny Depp als Grindelwald und der unermüdliche Kampf zwischen Gut und Böse). Der letzte Film, der mich zum Weinen gebracht hat, war „Valerian – Die Stadt der tausend Planeten“, obwohl er bereits schon in der Anfangsszene gängige kulturelle Stereotype bedient (zum Nachschauen: https://www.youtube.com/watch?v=sD63fekvUdk – aber ihr müsst zugeben, die Aliens sind mal so richtig cool!). Die Inder immer mit ihren verrückten Turbanen! Bei den Arabern mit ihren Kaftan-Raumanzügen läuft natürlich keine Frau mit. Und ja, auch China umarmt ab dem Jahr 2020 irgendwann den Westen! Schöne neue Welt…
Also nicht einmal mehr einen Hollywood-Schinken kann ich mir anschauen, ohne ihn zu sezieren. Dadurch wurde mir auch schon „Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück“ versaut, der im Grunde genommen wahnsinnig sexistisch ist. Das böse Studium ist schuld! Ich habe gelernt, Wörter wie „kohärent“, „Intersektionalität“ und „Polyvalenz“ zu benutzen und mich dabei schlau zu fühlen. (Da gibt es ja noch viel tollere schlaue Wörter! Lasst sie mir bitte zukommen.) Sogar so schlau, dass mir nicht einmal mehr auffällt, dass diese Wörter nicht jeder kennt und sicherlich auch nicht jeder kennen muss. Und ja – genau ihr, ihr da draußen, die das jetzt gerade lesen – die Zielgruppe unseres KGE-Blogs – ihr benutzt diese Wörter auch!
Irgendwie möchte ich mich in diese teils Pseudo-Intellektuellen-Gruppe nicht einordnen wollen, die mehrheitlich aus GeisteswissenschaftlerInnen besteht (jep, ich versuche auch geschlechtsneutral zu schreiben … meistens zumindest). Der Komplex des gemeinen Geisteswissenschaftlers besteht ja gerade darin, dass er wahrscheinlich nicht so viel verdienen wird, wie alte SchulkollegInnen aus Abizeiten, die sich stattdessen für Maschinenbau oder Medizin entschieden haben. Zumindest kann er nach einem B.A. in Politik- und Sozialwissenschaften und anschließendem Master of Public Affairs and Global Politics (Masterprogramme haben ja heutzutage alle englische Namen, damit es NOCH beeindruckender klingt!) richtig schön klugscheißen und behaupten, das Weltgeschehen glasklar durchschaut zu haben. (Kleiner Einschub an dieser Stelle: Ich bin nach langem Überlegen total dafür, dass der Name unseres Studiengangs „Kulturelle Grundlagen Europas“ auf jeden Fall bestehen bleiben sollte. Er ist lang und trocken. So richtig schön deutsch. Und damit heutzutage mehr Alleinstellungsmerkmal als das obligatorische Auslandssemester.)
Ich persönlich stehe vor den meisten Fragen ratlos da. Letztens erst mich mit einem Israeli/Kanadier (Identität ist in Kanada ein schwieriges Ding … dem würde ein eigener Blogeintrag gebühren) über den aufkommenden Rechtsruck und Antisemitismus in Deutschland/Europa unterhalten. Für das Warum hatte ich noch ein paar Schlagwörter bereit („Modernisierungskrisen“, „Statusangst“, „wirtschaftliche Ungleichheit“, „Feindbilder schaffen“). Als er mich dann jedoch fragte, warum eigentlich immer Juden ins Fadenkreuz geraten, geriet ich ins Stottern. Meine wenig analytische Antwort mag ich hier nicht einmal mehr wiederholen, derart dürftig war sie. Mehr wissen wollen ist lobenswert, aber im Grund genommen stehen wir doch alle viel zu nah am Puzzle, um wirklich (alles) verstehen zu können. Die Leute, die es dennoch behaupten, finde ich doof. Und wenn ich so richtig ins Klugscheißen geraten, verhalte ich mich auch oft doof.
Deswegen mag ich meinen Studiengang. Ich bekomme Jahre geschenkt, nur um mich mit solchen Fragen beschäftigen zu dürfen. Auch nur mit denen, die mich wirklich interessieren. Man darf eine Meinung haben und diese auch vertreten. Aber im Gegensatz zu den von mir teils heißgeliebten Blockbuster-Filmen, in denen Schwarz gegen Weiß kämpft, sollten die meisten Fragen eher in Grautönen beantwortet werden. Kein entweder … oder. Sowohl … als auch passt meistens besser. Fifty Shades of Diskursanalyse.
„Trois Couleurs“ verstehe ich leider immer noch nicht. Französisch übrigens auch nicht. Den Rest erledigt Google.
(Das Bild ist im Algonquin Provincial Park entstanden. Beim Wandern und Baden hat man sich so richtig deep und philosophisch gefühlt. Am Busen von Mutter Natur. Um dieses Gefühl ein wenig für euch nachvollziehbar zu machen, habe ich heftigen Instagram-liken Filter drüber gehauen!)