Auf der Suche nach dem “Local”

Jede hat ihre eigenen Gründe, warum sie ins Auslandssemester geht. Häufig geht es darum, neue Erfahrungen zu sammeln, ein neues Land kennen zu lernen, an einer anderen Uni zu studieren etc. Aber einer der Hauptgründe ist wahrscheinlich auch, „neue Leute“ kennen zu lernen. Und genau so ging es mir auch. Ich wollte neue Leute kennen lernen und neue Perspektiven sehen und verstehen. Und seit meiner Ankunft beschäftigt mich dieses Thema immer wieder. Denn wie mir schnell aufgefallen ist, sind neue Leute nicht einfach nur neue Leute, sondern bestimmte neue Leute, die man kennenlernen will. Und da wären wir mal wieder beim Kategorisieren und Menschen allen möglichen Schubladen zuzuordnen. Auf einmal sind „neue Leute“ nicht nur Leute, die man noch nicht kennt, sondern man unterscheidet, und das meist aufgrund der Nationalität oder der Herkunft.

Wir sind hier eine Gruppe von 70 Internationals, also 70 „neue Leute“, die ich nicht kenne. Aber nein, das reicht nicht. Denn diese 70 Leute, obwohl ich die meisten davon nicht kenne, sind nämlich nicht die „richtigen“ neuen Leute. Und das liegt nicht nur daran, dass ich merke, dass ich da nicht so ganz rein passe, und die meisten um einiges jünger sind als ich und nur Party im Kopf haben, während ich lernen muss, nein, denn die richtigen neuen Leute, die man kennen lernen soll/muss/will, sind nämlich die sogenannten Locals. Und wieder eine neue Kategorie, der wir Menschen zuordnen. Aber wer sind denn nun diese Locals? Hier in dem kleinen Dorf Tuksdorp, in dem ich wohne, wohnen vor allem Masterstudenten oder Internationals. Aber eben nicht Internationals wie wir es sind, die nur für ein Semester hier sind, sondern die hier ihr Studium absolvieren. Also auch nicht wirklich Locals im Sinne von Südafrikanern, da die meisten gar nicht aus Südafrika kommen, sondern aus anderen Ländern des riesengroßen, afrikanischen Kontinents. Aber dennoch gehören sie irgendwie doch zur Gruppe der Locals. Wer ist denn nun ein Local? Ist es dann tatsächlich jemand, der aus Pretoria kommt? Oder aus Südafrika? Oder aus dem sogenannten „Afrika“? Man weiß es nicht so genau, aber es geht darum, diese Locals zu treffen. Und das ist schon fast wie ein Zwang. Gerade am Anfang war es ganz aufregend, wenn eine von uns heim kam und gesagt hat, sie hat endlich ein paar Leute von hier – Locals – getroffen. Wer? Wie? Wo? Können wir die auch treffen? Es wird alles organisiert und gemacht und getan, um diese Locals kennen zu lernen. Ob diese Menschen zu einem passen oder ähnliche Interessen oder Einstellungen haben steht an zweiter Stelle. Erst einmal wird anhand der Herkunft unterschieden, ob diese Menschen zum Braai (wie man hier das Grillen nennt) eingeladen werden oder nicht.

Das nächste Problem ist aber, dass diese Locals nun auch keine homogene Gruppe sind. Da gibt es ja auch wieder einen Unterschied zwischen den Locals, die man kennen lernen will. Denn man will ja auch nicht nur die Weißen kennen lernen. Und das wurde mir von den Locals hier auch empfohlen „you also need to get to know the black South Africa“. Also das „andere“, das „echte“ Südafrika.  Aber was ist das echte Südafrika? Natürlich hat „weiß sein“ hier eine bestimmte Bedeutung, aber das ist ein anderes Thema, über das man stundenlang reden könnte. Und es ist zunächst auch spannend, die weißen Südafrikaner kennen zu lernen, da sie ja auch irgendwie Locals sind. Aber das  ist es dann doch auch nicht, was man kennen lernen will. Denn bei diesen „weißen“ Veranstaltungen fühlt man sich ja noch nicht wie in „Afrika“, sondern vielleicht eher wie in Amerika. Also wo ist das „wirkliche“ und „echte“ Südafrika? Wo kann man denn nun diese „südafrikanische Kultur“ kennen lernen? Und auf einmal findet man sich genau da, wo man nicht sein möchte und was man stundenlang im Elfenbeinturm der Wissenschaft auseinandernimmt. Im Kategorisieren und Zuordnen von Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe oder dergleichen.
Natürlich sollte man bei einem solchen Auslandsaufenthalt auch seine „Bubble“ verlassen und viele verschiedenen Leute und Lebensweisen kennen lernen. Und damit natürlich auch aus der Blase der Internationals aussteigen und andere Leute kennen lernen. Aber ist es nicht egal wer diese anderen Menschen dann sind?  Ob sie Europäer sind, die hier leben oder Afrikaner oder Südafrikaner oder was auch immer? Wäre es zunächst nicht einfach mal nur schön, Leute kennen zu lernen, die sich hier vielleicht einfach besser auskennen und man dadurch neue Dinge kennen lernt. Ist es nicht viel wichtiger, Leute zu treffen mit denen man gerne Zeit verbringt, egal aus welchem Land sie kommen? Und ist diese fast schon zwanghafte Suche nach den „echten“ Locals und dem „authentischen“ und „echten“ Leben in Südafrika nicht auch gleichzeitig eine ständige Kategorisierung der Menschen aufgrund dieser konstruierten Kategorien, die wir eigentlich die ganze Zeit versuchen zu dekonstruieren, um Menschen eben nicht auf ihr Aussehen oder ihre Herkunft zu begrenzen? Warum bin ich für die anderen Europäer nicht mehr so interessant, sobald ich sage, dass ich aus Deutschland komme? Und warum bin ich für die Locals hier auf einmal sehr interessant, wenn sie merken, dass ich keine weiße Südafrikanerin bin, sondern aus Deutschland komme? Warum sind für uns Internationals die Locals so viel interessanter als die anderen „neuen Leute“, die man hier so trifft. Warum ist es nicht einfach nur interessant, neue Menschen kennen zu lernen, egal woher sie kommen?

2 thoughts on “Auf der Suche nach dem “Local”

  1. Vielen lieben Dank Darija für den Artikel!
    Ich denke, einige von uns können sich damit gerade ein wenig identifizieren…
    Ich stelle in dem Zusammenhang immer wieder fest, dass ich das auch für einen Nebeneffekt eines Uni-austauschs halte: Man kommt in einer Gruppe “Internationals” an, umgibt sich mit Universitätsstudenten und ist nicht automatisch in Kontakt mit “Locals”, wie du so schön sagst. Und in Kanada stellt sich eine ähnlich Frage: Wer ist denn nun ein “Local-Kanadier”? An die 25 % aller Kanadier sind nicht in Kanada geboren.
    Ein schönerer Plan ist es jedenfalls, wie du sagst, Leute kennen zu lernen, einfach aus Interesse daran, neue Leute kennen zu lernen.
    Ist dir das denn ein bisschen gelungen? Und vielleicht auch über Small-talk und ein-zweimal Treffen hinaus?
    Ganz liebe Grüße nach Tuksdorp!

  2. Liebe Clara,
    Danke für deine Antwort. Ja, es ist nicht so einfach die Menschen irgendetwas zu zu ordnen und doch versuchen wir das ständig.
    Mir ging es vor allem darum diesen Zwang darzustellen.
    Ja, ich habe hier tatsächlich sehr viele sehr nette Leute kennen gelernt, auch über den Small Talk hinaus. Aber ich merke auch, dass mit meiner begrenzen Zeit hier das doch ein Unterschied ist. Und man ziemlich viel in eine ziemlich kurze Zeit packen muss.
    Liebe Grüße nach Kanada! 🙂

Leave a Reply to Clara Cancel reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *