Weltanschauliches – Aus dem Land der Tugend zum Reich der Mitte

„Im/Am Anfang war das Wort“, so heißt es nicht nur in einem der Bestseller schlechthin im westlichen Kulturraum, sondern auch bei der Vorstellung vom „Anderen“ im Allgemeinen und ganz besonders in China. Um zum Beispiel über Deutschland sprechen zu können, müssen wir uns so etwas Abstraktes wie ein „Land“, das mehr ist als nur eine politische Einheit ist, zunächst einmal mit einem Wort beschreiben. In diesem Blogeintrag will ich von einigen chinesischen Ortsnamen berichten, welche die Vorstellungswelten hier entscheidend prägen.

Gleich beginnen möchte ich dabei mit China selbst. Die Eigenbezeichnung des Landes zhongguo = Reich/Land der Mitte verwenden wir gelegentlich auch im Deutschen. Dabei teilen wir aber meistens nicht die damit verbundene Perspektive und sehen China nicht auch als Zentrum der Welt an. Schon das Wort macht aber deutlich, warum viele Chinesen am politischen System der Volksrepublik festhalten, die China zur einflussreichen Wirtschaftsmacht ausgebaut hat. Während ich es durchaus nachvollziehen kann, die eigene Perspektive als „zentral“ anzunehmen, war mir die Argumentation damit neu. In einem meiner Kurse hieß es so zum Beispiel: „China is most important, the name says so already“. Gefehlt hat mir dabei das kritische Hinterfragen, dieser ja durchaus sehr interessanten Namensgebung. Aus welcher Epoche stammt die Eigenbezeichnung? In welcher Dimension ist die „Mitte“ zu verstehen? Leider etwas ausgebremst wurde meine Neugier im Kurs von der Aussage „I have decided, today no questions“.

Auch die Bezeichnung für Deutschland ist äußerst spannend: dèguó = Land der Tugend/Werte. Damit verbunden scheint die Vorstellung zu sein, dass in Deutschland Politik und Gesellschaft einwandfrei funktionieren und quasi keine Probleme vorhanden sind. Ob die Bezeichnung aus einer frühen Phase des Kontaktes um 1800 stammt? Als Deutschland „das Land der Dichter und Denker“ gewesen sein soll, wie wir uns selbst gerne bezeichneten und bezeichnen? Fest steht, dass der Name viele Kapitel deutscher Geschichte ausblendet, besonders die NS-Zeit, die sonst beim Nennen deutscher Geschichte in ausländischer Perspektive, aus eigener Erfahrung, oft dominant ist. Die übliche Antwort auf die Aussage „Wo shi dèguó ren/Ich bin Deutscher“ ist „Dèguó? Hen hao!/Deutschland? Sehr gut!“. Auch wegen mangelnder Chinesischkenntnisse fällt es schwer nachzufragen, warum denn gerade Deutschland so besonders gut. Die meisten Chinesen, die ich getroffen habe, reagierten fast bestürzt auf die Frage. Generell wird hier Deutschlands Rolle in der EU sehr positiv bewertet oder die starke Exportwirtschaft. Selten hört man jedoch auch eine andere Meinung: In einem meiner Kurse äußerte sich ein Dozent zur Bundestagswahl und meinte: „Germany has many problems now, we are happy not to have such problems in China.“ Obwohl mich die Aussage zunächst ein wenig erschütterte, kamen mir und einigen Kommilitonen jedoch beim Gespräch über demokratische Wahlen auch Zweifel auf, wie das in einem so riesigen und kulturell diversen Land wie China funktionieren sollte. Auch bin noch nie zuvor so offen gefragt worden: „Oh, do you like Hitler?“ Da war ich dann doch kurz perplex und wusste auch außer „well…no“ gerade keine passende Antwort. Aber dann wurde schon mit der nächsten Frage „do you like cars?“ weitergemacht. Generell gleichen Gespräche oft einem Verhör aus einer (qualitativ nicht unbedingt hochwertigen) amerikanischen Gerichtssendung, wo man nur mit Ja oder Nein antworten darf oder kann.

Generell spannend und für mich sehr unerwartet ist die starke Prägung auf die USA/Amerika (hier habe ich selten erlebt, dass differenziert wurde, auch zwischen Nord- und Südamerika nicht). Meiguó für die USA bzw. Meizhou für den Kontinent/die Kontinente bedeutet so viel wie schönes Land bzw. eben Land der Schönen. Ich frage mich, ob der Name vom Schönheitsideal möglichst helle Haut zu haben abgeleitet ist oder ob das Schönheitsideal erst aus der Bezeichnung von hellhäutigen Ausländern als schön entstanden ist. In jedem Fall, ist dies der Satz, der einem am Häufigsten auf der Straße hinterher gerufen wird oder von Kindern mit ausgestrecktem Zeigefinger aufgeregt, den Eltern mitgeteilt wird.

Ehrlich schockiert hat mich aber das generelle Bild von „Afrika“ in China. Feizhou wird aus den Zeichen „Fehler/falsch“ und „Kontinent“ zusammengesetzt. Auch, wenn im Chinesischkurs ausgesagt wurde, dass es beim ersten Zeichen nur um den Laut und nicht um die Bedeutung gehe, kann ich mich dem Eindruck nicht erwehren, dass die Bedeutung oft mitklingt. Im selben Sprachkurs sollte jeder Student sein Heimatland nennen und dann wurde es übersetzt und an die Tafel geschrieben. Mit Begeisterung nahm die Dozentin Deutschland, Holland, Frankreich, Spanien, Griechenland entgegen. Die Situation schlug schnell um als ein (dunkelhäutiger) Student, sagte er komme aus Malawi. Die Antwort hierauf ließ die meisten von uns mit offenem Mund zurück: „Oh! Feizhou, not important which country!“ Ich konnte nicht fassen, dass eine Universitätsdozentin so etwas gesagt hatte und stellte mir die Reaktion unserer KGE-Dozenten vor. Auf die Nachfrage warum, hieß es die Schriftzeichen seien einfach zu kompliziert, die betreffenden Studenten könnten es ja einfach kurz zu Hause nachschauen. Ich habe dann Malawi nachgeschlagen, von den drei Schriftzeichen, haben wir letztendlich zwei ohnehin im Kurs gelernt. Usbekistan, das mit sechs recht komplexen Zeichen geschrieben wird, wurde natürlich gerne erläutert, schließlich ist es ja auch ein Nachbarland von China. Kritisch war die Situation bei Barbados, von dem die Dozentin noch nie gehört hatte, nach dem wir ihr aber versicherten, dass es in „Amerika“ liegt, schlug sie die Schreibung schnell mit dem Smartphone nach.
„Afrika“ wird sicherlich auch in Deutschland oft generalisiert und nur beiläufig erwähnt, doch hier geschieht dies so offensichtlich und rassistisch, dass es manchmal schwer zu ertragen ist. Bei einem internationalen Theaterfestival in Fuzhou wurden Tanzgruppen aus verschiedenen Ländern vorgestellt. Bei „Afrika“ führten mit einem Fell bekleidete Chinesen einen Tanz mit Speeren vor, dass ging mir dann doch deutlich zu weit! Am Stand für afrikanisches Essen wurden Fleischspieße verkauft, den Stand zierte eine klischeehaft überzeichnete Kleopatra vor den Pyramiden. Im Aquarium waren die Fische und Reptilien auch nach Kontinenten gegliedert. Während bei „Europa“ ein Strand mit einem Fischerboot und Leuchtturm gezeichnet war, der eher an die Küste Maines als an Mittelmeer oder Nordsee erinnerte, war bei Afrika ein „Stammeskrieger“ zu sehen und aus einem Lautsprecher an der Decke drangen mehr als irritierende Affengeräusche vor.

Bei diesen Beobachtungen musste ich häufig an Wittgenstein denken: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“. Sprache ist also konstitutiv für unsere Weltsicht, was sich in der chinesischen Namensgebung von Ländern und Kontinenten auch deutlich widerspiegelt. Der Gedanke ist sehr interessant, auch im Hinblick auf meine Masterarbeit und wäre mir in Deutschland sicher nicht so stark ‚eingebrannt’ worden. Generell habe ich zu diesem Semester den Eindruck, dass wir vielmehr durch das Hier-Sein und Beobachten, als durch unsere Kurse lernen.

PS: Ich hoffe der Blogeintrag war nicht zu abschreckend und verworren. Ich schiebe den Schreibstil einfach auf die aktuelle Abgabephase an der Uni, weswegen ich fast nur an meinen Papern schreibe. Nächstes Mal folgt wieder ein positiverer Beitrag, mit Reiseerzählungen, Kuriositäten – und Bildern.

One thought on “Weltanschauliches – Aus dem Land der Tugend zum Reich der Mitte

  1. Hallo Matthias, ich habe deinen Artikel mit offenem Mund gelesen. Unfassbar, was du da erlebt hast und danke, dass du deine Gedanken mit uns teilst. Mit diesem offenen Rassismus hätte ich nicht gerechnet und die Äußerung der Dozentin – unglaublich und beschämend. Ein solches Verhalten ist für uns an der Uni Konstanz unvorstellbar. Ich hoffe, du bist wieder gut in Deutschland angekommen! Bis bald

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