Orte meiner argentinischen Lebens(er)haltung – 2

(Der Bruch mit dem letzten Post ist wohl arg radikal, aber ich möchte euch ja auch noch von anderen Dingen berichten.)

Nicht nur mein Uni-Leben ist hier in Buenos Aires anders, sondern die ganze Lebensstruktur. Und die wird gerade von kleinen Dingen geprägt, die in Deutschland selbstverständlich sind und hier plötzlich furchtbar kompliziert.

Argentinien ist nicht gerade ein günstiges Land, sondern kann durchaus mit Deutschland verglichen werden. Vor allem Lebensmittel und Klamotten sind wesentlich teurer und mein Limonaden-Umsatz in Cafés ist auch eine Angewohnheit, die sich gegönnt werden muss. Alle kleinen und großen Dinge müssen natürlich bezahlt werden – und das geht hier in Buenos Aires hauptsächlich mit Bargeld. Falls dann doch mal eine Visa-Karte akzeptiert wird, muss ich meinen Ausweis dabei haben und doppelt und dreifach unterschreiben. Manchmal kriegen die Kassierer im Supermarkt einen kleinen Herzstillstand, weil ihr System bei der Identitätsabfrage nur Zahlen annimmt, die deutsche Passnummer aber auch Buchstaben beinhaltet. Ich kann in diesem Fall ja auch nichts tun und muss die Mitarbeiter dann meist dazu überreden, einfach eine ausgedachte Zahlenfolge in den Computer einzutragen. Fast schon kriminell, oder?

Die Argentinier nehmen die Sache mit der Herkunft und vor allem mit der Geldherkunft sehr genau und machen es dadurch leider oft ziemlich kompliziert. Die Mittel und Wege, hier flüssig zu bleiben, sind schon ein Abenteuer an sich. Weil das Abheben an Bankautomaten teuer ist und nicht besonders flexibel, habe ich mich für Geldtransfers entschieden – ja, ein bisschen so wie in Filmen. Ich überweise mir quasi selbst Geld und hole das dann an einer Wechselstube meiner Wahl ab. “Meine” Filiale befindet sich in einer mysteriösen Einkaufspassage im Stadtzentrum, vor deren Eingang Männer mir ihr Geld zum Wechseln anbieten. Dollar, Euro, brasilianische Reales werden in unterschiedlichen Sing-Sangs dargeboten, bei denen man sich fragt, ob es sich wirklich um Geld oder nicht viel eher um besonders biologisch-einwandfreie Lebensmittel handelt (cam-BIO!!). Weil ich denen noch weniger vertraue als einer internationalen Überweisungsfirma, suche ich also in der halben Passage nach dem Laden n°307. Ich muss ins untere Geschoss, die Rolltreppe funktioniert nicht, der Brunnen in der Mitte der Halle wird als neuer Mülleimer genutzt, jedes zweite Ladenlokal ist leer oder verriegelt und ganz in der hintersten Ecke, nach einem Imbiss mit schlechten Grillspezialitäten und hausgemachter Joghurtsoße, wie die aufgestellte Tafel stolz verkündet, dort befindet sich “Argenper”, die provisorische Bank meines Vertrauens. Das Licht ist grell und blau, so dass alle Menschen, die dort wartend auf den Plastikstühlen vor einer schwarzen Trennwand sitzen, noch viel verzweifelter aussehen als sie es schon sind. Bei Argenper lernt man warten. Man muss eine Nummer ziehen und wenn man Glück hat, sind nur so 5 Personen vor einem. Wenn man Pech hat 30. Dann bleibt aber umso mehr Zeit, sich das Programm auf dem Fernsehbildschirm in einer Ecke anzuschauen. Dort läuft immer, wirklich jedes Mal, wenn ich dort war, ein Verschnitt von “Ups, die Pannenshow”. Menschen, die auf Eisplatten ausrutschen, Kinder die von Schaukeln geschleudert werden und Hunde, die ihr Spiegelbild für den Feind halten. Es ist das gleiche Programm, wie wir es auch in Deutschland auf den schlechten Fernsehsendern zu sehen bekommen, doch weil mir (und den anderen Wartenden) nichts anderes übrig bleibt, starren wir vereint die Clips an. Besonders traurig an diesem Szenario ist, dass die Videos sich ca. alle 15 min wiederholen – ich kann euch sagen, ich kenne sie inzwischen alle auswendig! Begleitet werden die stummen Unfallszenen von dem Rattern der Geldmaschine hinter der Trennwand und dem lauten Zählen des Mitarbeiters, wenn er dem Kunden die Summe seines Geldes aufzählt: 500 pesos, 1000 pesos, 10 000 pesos. Zunächst war ich verunsichert über diese vermeintliche Öffentlichkeit und fragte mich, wozu denn dann da überhaupt ein Sichtschutz ist, wenn doch eh alle zu hören bekommen, wieviel Geld man sich gerade in die Tasche steckt. Doch die Tatsache, dass alle (inklusive mir) von den wirklich unlustigen Szenen abgelenkt sind, zeigt, welche Prioritäten am Ende des Tages wirklich gesetzt werden.

Über die Vorgänge bei vermeintlich wichtigen Dingen kann man sich in Buenos Aires sowieso nur wundern. Am Anfang hätte ich gerne am laufenden Band den Kopf geschüttelt, doch inzwischen habe ich mich einfach daran gewöhnt. Die Argentinier sind theoretisch sehr gut organisiert und alles hat eine Struktur – letztlich funktioniert es dann aber meistens doch irgendwie anders. Überall muss man hier in einer Reihe stehen und die Reihenfolge muss auf jeden Fall eingehalten werden: man steht in einer perfekten Schlange für den Bus an, man zieht eine Nummer wenn man in der Bäckerei etwas kaufen möchte, selbst wenn man der einzige Kunde ist, und auch im Obstladen darf nicht gedrängelt werden. Ich warte ein bisschen darauf, dass man ebenfalls nur in einer Reihe durchs Museum laufen darf.

Diese Genauigkeit wird bei richtigen Behörden auf die Spitze getrieben. Ein weiterer essentieller Ort, der mir mein argentinisches Leben quasi erst ermöglicht hat, ist die Migrationsbehörde. Es ist ein großer Gebäudekomplex am Hafen von Buenos Aires, und Teil des alten, sehr wichtigen Hotel des immigrantes, wo Anfang des letzten Jahrhunderts die großen Einwanderungswellen aus der ganzen Welt an- und unterkamen. Heute wird da noch immer über das Schicksal von Ausländern entschieden, und ich vermute, dass es eher schlechter als damals organisiert ist. Schon am frühen Morgen war viel los und ich konnte, dank meines deutschen Passes, an vielen anderen wartenden vorbei in einen weiter hinten gelegenen Raum gehen, wo anscheinend europäische Angelegenheiten bearbeitet werden. Die Migrationsbehörde ist ein kleines Chaos, aber dabei ein sehenswertes Abenteuer (wenn man es nur ein Mal machen muss, versteht sich). Wer Genaueres über die Prozedur wissen möchte, kann gerne einen Eintrag aus dem letzten Jahr von meiner Vorgängerin Tina lesen. Es war eine kleine Odyssee, all die Papiere zu bekommen und schließlich auch das Visum ausdrucken (!!) zu können – ja, mein Visum ist ein Blatt Papier, besser gesagt drei, auf denen in ganzen Sätzen in einem langen Text steht, dass ich für sechs Monate im Land bleiben darf. Um daran zu kommen, stand ich in vielen Schlangen. Es gibt in der Regel zunächst eine Person am Eingang die prüft, ob du deinen Ausweis dabei hast. Dann geht es bei einem anderen Schalter darum, ob du alle nötigen Papiere zur Hand hast. Dort erhälst du eine Wartenummer, aber du reihst dich trotzdem noch in die Reihe ein, an deren Ende deine Daten in den Computer eingetragen werden. Zwischendrin stellst du dich dafür an, bezahlen zu können. Schließlich darfst du Platz nehmen, bis dein Name aufgerufen wird und dir das, was auch immer du gerade beantragt hast, ausgehändigt wird. Dieser Vorgang lässt sich quasi in jeder Behörde beliebig wiederholen – sogar wenn es darum geht, ein Paket abzuholen – mit mehr oder weniger Wartestationen und ähnlich resignierten, aber lächelnden, Beamten. Ich habe keine Erklärung für all die unterschiedlichen Stationen, in Deutschland macht das in der Regel alles nur eine Person. Vielleicht gehört dieses tausendfach aufgeteilte System zu dem Plan der Regierung, die Arbeitslosigkeit zu senken. Eins ist klar: Formal gesehen haben die Mitarbeiter dort alle einen Arbeitsplatz.

Warum ich die Wartenummer beim zweiten Schalter erhalten habe? Keine Ahnung.

Letztendlich habe ich mir von alledem vor allem eines abgeschaut: ein gut organisierter Plan ist unabdinglich – nur, um dann am Ende doch irgendwie anders umgesetzt zu werden.

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