Gerechtigkeit für Santiago Maldonado.

Santiago Maldonado, der am 1. August 2017 im Süden Argentiniens verschwand, ist am 17. Oktober in einem Fluss gefunden worden. Besser gesagt: sein lebloser Körper.

Ich schreibe diesen Post erst jetzt, weil ich erstens, in den letzten Wochen andere (universitäre) Dinge im Kopf hatte, aber vor allem auch zweitens, weil noch so vieles in dem Fall unklar ist. Die Medien zerfetzen sich hier gerade um die neusten Erkenntnisse und es scheint eine sehr hässliche Geschichte hinter dem Verschwinden Maldonados zu stecken, doch weil die Autopsie bisher noch immer keinen klaren Todesgrund feststellen konnte, sollte ich meine Vermutungen klein halten.

Trotzdem gibt es einige Dinge, die ich euch gerne erzählen möchte, denn der Fall bewegt die argentinische Gesellschaft wirklich sehr.

Santiago Maldonados Körper wurde in genau jenem Fluss gefunden, wo die damalige Mapuche-Demonstration entlang lief, nur wenige Meter von der Stelle entfernt, wo er auch am 1. August zuletzt gesehen worden war und von wo ihn die Polizei “abtransportierte”. Komisch natürlich, dass der Fundort zuvor bestimmt dutzende Male abgesucht worden war und dann taucht da plötzlich – ganz zufällig – fast 10 Wochen nach seinem Verschwinden, der Körper wieder auf? An genau der gleichen Stelle? Und warum ist ein Polizeiwagen vor Ort voller Blut aufgefunden worden, amateurhaft gereinigt? Tatsächlich ein blutendes Tier, das die Polizei in ihren Wagen packte? Ich wollte mich mit meiner eigenen Meinung zurückhalten, aber es fällt mir wirklich sehr schwer…

Die Leiche wurde genau 5 Tage vor den wichtigen Parlamentswahlen in Argentinien gefunden und direkt zu einem Wahlkampfthema gemacht. Überhaupt war der Fall Maldonado in den ganzen Wochen über ein hochbrisantes politisches Thema und wurde von allen Seiten zu ihrem Vorteil genutzt. Vermutungen und Erkenntnisse wurden so oder so hingestellt, je nachdem, wie es gerade in den Kram passte, und die links- oder rechts-orientierten Medien interpretierten Fakten genau gegensätzlich. Oft genug gab es den Moment, dass man als interessierter Leser einfach nicht wusste, was man nun glauben konnte. Die ehemalige Ministerpräsidentin Kirchner versuchte beispielsweise durch ihre Mitleidsbekundungen und die Feststellung, dass so etwas in ihrer Regierungsperiode nie passiert wäre, Wähler auf ihre Seite zu ziehen. Der aktuelle Präsident Mauricio Macri hingegen hielt sich fein aus dem Fall raus, denn während seine Minister von einem Skandal in den nächsten schlitterten (“Unsere Informanten haben Santiago Maldonado in Chile entdeckt, lebend”, “Vielleicht hat er auch Selbstmord begangen” oder: “Wie auch Walt Disney wurde Santiago tiefgefroren”), wandte er sich erst beim Fund der Leiche mit Beileidsbekundungen an die Familie. Dies schadete ihm übrigens nicht, Macris Partei ging bei den Parlamentswahlen erneut als klarer Sieger hervor.

Wenn der Fall Santiago Maldonado etwas gezeigt hat, dann, wie wenig man irgendwem trauen kann. Und wie sehr die argentinische  Gesellschaft Anteil an seinem Schicksal nimmt. Am 1. November fanden erneut auf dem Plaza de Mayo in Buenos Aires und in zahlreichen anderen Städten Demonstrationen für die Aufklärung des Falles statt, an denen tausende von Menschen teilnahmen. Die wohl beste Informationsquelle ist die offizielle Seite zu den Geschehnissen, die die Familie von Maldonado betreibt und auf der sie immer wieder zu Ruhe aufruft und darum bittet, keine unnötigen Gerüchte zu verbreiten, solange die Autopsie noch keine Ergebnisse gebracht hat. Jetzt, nachdem sein Tod feststeht, ist ihr einziger Wunsch, dass Santiago Gerechtigkeit erfahren kann. http://www.santiagomaldonado.com/

Ein letztes Wort möchte ich noch dazu verlieren, wie die Menschen in meiner Umgebung über die Politik und über die Geschehnisse reden. Und wie frustriert sie sind. Die meisten jungen Leute, die ich hier kennenlerne, mögen Macri und seine Regierung nicht und halten auch nicht besonders viel von Cristina Kirchner (die noch immer in der argentinischen Politik aktiv ist). Trotzdem haben ihre beiden Parteien mit Abstand die meisten Stimmen bei den Parlamentswahlen erhalten. Beide sind rechts und konservativ und für junge, liberale Menschen gibt es wenig Alternativen. Die linken “Hardliner” (wie sie hier genannt werden, obwohl sie wohl “harmloser” als unsere Linkspartei sind) kamen in diesem Jahr zum ersten mal auf 7%, das ist wenig, aber ein bisschen revolutionär in Argentinien, wo die Politik sich eigentlich hauptsächlich um die Wirtschaft kümmert und soziale Gerechtigkeit kaum im Programm Platz findet. Ich frage mich oft, wo sie denn sind, die Macri und Kirchner-Wählen, denn ich lerne sie irgendwie nicht kennen.

Am Abend vor der Wahl, also vor ca. 3 Wochen, hatte meine Mitbewohnerin Freunde zu Besuch. Die Stimmung war nicht ganz so ausgelassen wie sonst, schließlich war der Fund von Maldonados Leiche gerade ein paar Tage her und sein Fall Gesprächsthema Nummer eins. Wir stießen an auf ihn, auf Gerechtigkeit für ihn und alle anderen. Eine Freundin schlug auf den Tisch mit der flachen Hand und sagte: Hoffentlich stürzen diese gottverdammten, verlogenen Politiker allesamt gemeinsam in einem Flugzeug über den Anden ab und werden nie wieder gefunden!

In diesem Sinne: Grüße aus Argentinien! Trotz allem, kommt der Sommer langsam aber sicher.

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