Da mein Auslandssemester langsam, aber sicher dem Ende entgegengeht und ich noch so viele „unabgeschlossene Eindrücke“ im Kopf habe, sollen auch die folgenden beiden Blogeinträge nicht unter einer großen Überschrift stehen, sondern mehrere kleine Beobachtungen wiedergeben, die ich im Laufe meiner Zeit in Südafrika erlebt oder empfunden habe.
#zuwenigzeit
So könnte insgesamt meine komplette Beziehung zur University of Pretoria beschrieben werden. Egal, was ich zu tun hatte – Präsentationen, Assignments, Essays oder Tests – ich hatte das ganze Semester über das Gefühl, zu wenig Zeit zu haben und allem hinterherzulaufen. Anfangs überlegte ich noch, vielleicht einfach das falsche Zeitmanagement zu haben; da es den meisten anderen Internationals aber auch so ging, scheint es wohl ein generelles Problem zu sein.
Bereits in meiner zweiten Woche in Pretoria musste ich eine umfangreiche Präsentation in meinem Philosophy of History-Kurs halten, ohne mich zuvor einmal in der Bibliothek orientiert zu haben. Im Eiltempo musste ich mich zurechtfinden, im Eiltempo die Sprachbarrieren überwinden, mich im Eiltempo in neue Konzepte und Denkweisen hineinversetzen. Ich hatte insgesamt wenig Möglichkeiten, den Stoff der unterschiedlichen Kurse festigen und reifen zu lassen – erst jetzt, vor meinem Final Exam und der letzten Hausarbeit komme ich dazu, alles Revue passieren zu lassen.
Nichtsdestotrotz habe ich das Gefühl, viel und intensiv gelernt zu haben und einiges aus meinen Vorlesungen und Seminaren mit nach Hause nehmen zu können. Besonders die Schwerpunktsetzungen haben mir gefallen; ich habe in meinen Kursen ganz wortwörtlich Europa aus einer (süd-)afrikanischen Perspektive betrachten und kennenlernen können. Und das ist wohl genau das, worauf es ankommt.
#rassismus?
Rassismus ist ein Thema, das in Südafrika nach wie vor an der Tagesordnung ist und an das ich mich bisher nicht richtig herangetraut habe. Ich habe immer noch das Gefühl, das „post-apartheid-Denken“ nicht umfassend verstanden zu haben, bei vielen Auffassungen und Hintergründen nicht wirklich durchgestiegen zu sein. Vielleicht werde ich den vollen Kontext nie verstehen.
Der Diskurs ist hier jedenfalls ein ganz anderer als in Deutschland, wo schon die bloße Verwendung des Begriffs „Schwarz“ zum Problem werden kann. Hier sind „White“, „Black“, „Coloured“ und „Asian“ nach wie vor Bezeichnungen, die Menschen aufgrund Äußerlichkeiten eine bestimmte „Rassenzugehörigkeiten“ zuschreiben und worüber ich beispielsweise auch bei meiner Bewerbung an der University of Pretoria Angaben hatte machen müssen. Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass „Coloured“ nicht einfach „farbig“, oder, noch schöner, „gemischt“ bedeutet, sondern dass ein Mensch erst „Coloured“ ist, wenn er sowohl afrikanische als auch europäische (und manchmal auch asiatische) Vorfahren hat und meistens Afrikaans spricht (wobei mir auch hierzu unterschiedliche Versionen erzählt wurden).
Irgendwann begann ich mich zu fragen, ob ich das alles überhaupt verstehen muss, schließlich galt diese Zeit für mich als „vorbei“, und die verschiedenen Bezeichnungen machen für mich sowieso keinen Unterschied darin, wie ich einem Menschen begegne. In Südafrika, so habe ich das Gefühl, macht es aber doch einen Unterschied, immer noch. Es gibt Clubs, in die nur Schwarze gehen, Bars, in denen nur Weiße sind. Nur einige Wenige kommen auf die Idee, das anders zu machen – sollte man sagen, “verständlicherweise”, war das Segregationsdenken doch zentral für das Apartheidregime?
Ich war völlig perplex, als die Moderatoren einer Radiosendung von der (ihrerseits sicherlich völlig unbedenklichen) scherzhaften Frage, warum weiße Frauen so viel Geld beim Frisör ausgäben, nur um am Ende komplett gleich auszusehen wie davor, zu der Feststellung kamen: „So ist es nun mal, die Rassen sind eben unterschiedlich und üben kulturell bedingt unterschiedliche Tätigkeiten aus“. Nein!, hätte ich am liebsten das Radio angebrüllt, das tun sie eben nicht! Unterschiedliche Verhaltensweisen haben meiner Meinung nach nichts, oder zumindest nicht primär, mit kulturellen Hintergründen zu tun, und schon gar nicht, wenn diese auf einer bloßen „Rassenzuschreibung durch Hautfarbe“ basieren.
Kein Wunder, dass sich gar nichts ändert, dachte ich weiter. Und überlegte im selben Moment: Bin ich überhaupt in der Position, diese Denkweise, die immer noch ein ganzes Land zu bestimmen scheint, kritisieren zu dürfen? Ich darf sicherlich eine Meinung dazu haben, aber habe ich auch das Recht, darüber zu urteilen? Jedenfalls ist es nach wie vor ein Thema, das mich beschäftigt und das ich am liebsten umgangen hätte, weil ich einfach nicht mehr weiß, was „richtig“, was „falsch“, was angemessen oder was verkehrt ist. Als Beobachtung lasse ich das daher einfach so stehen.
#deutschland
Im Gespräch mit einer Frau aus Pietermaritzburg (und wieder ertappe ich mich dabei, ob ich die Attribute “weiß” und “afrikaanssprachig” hinzufügen soll) habe ich einige interessante Kenntnisse darüber gewonnen, wie Deutschland im südafrikanischen Kontext wahrgenommen zu werden scheint. Als erstes sprachen wir über die Flüchtlingskrise, über die “Flüchtlingsströme”, die nach Deutschland ziehen würden. Ob die Menschen in Deutschland keine Angst davor hätten, ihre Jobs zu verlieren, ob ich selbst keine Angst hätte. Das Einzige, was ich an dieser Stelle wirklich besorgniserregend fand, waren ihre Fragen, ganz gezielt in eine Richtung. Und ich war schockiert, dass genau diese Bilder und Aufnahmen, die auch uns in Deutschland beunruhigen sollten, oder man könnte sagen, ausgerechnet diese Bilder und Aufnahmen von “Strömen” von Menschen, die Vorstellung von Deutschland zu sein scheinen, die die Südafrikaner im Moment haben (wobei eine einzelne Person sicherlich nicht für alle stehen kann und sollte).
Das zweite große Thema war der Islam, und auch hier dasselbe Spiel: Ob ich keine Angst hätte, wenn auf einmal so viele Muslime in Deutschland leben würden. Ich versuchte vorsichtig, meinen Standpunkt klarzumachen, erzählte ihr auch, dass ich auf der Fahrt nach Pietermaritzburg einen Muezzin gehört hätte und ziemlich begeistert gewesen wäre, dass das hier möglich sei. Am Ende des Gesprächs war ich schockiert, überrascht und verwirrt darüber, wie einseitig das aktuelle Bild Deutschlands in Südafrikas Medien vermittelt zu werden scheint oder zumindest, welche einseitigen Ansichten daraus gewonnen werden können.
(Titelbild: Freedom Park)