Partnerbörse Shanghai. Oder: weiblich, ledig sucht

Bei gutem Wetter ist der People’s Square Park in Shanghai überfüllt mit Menschen. Vor allem die ältere Generation sitzt auf Bänken, trinkt ihren klassischen Tee aus Plastik-Trinkflaschen, lauscht Musik, nimmt an Tanzstunden und Tai-Chi Übungen teil oder spielt an den kleinen, runden Tischen um Kleingeld. Normalerweise liebe ich es, dieses Treiben zu beobachten. Sonntags jedoch mischt sich unter dieses Treiben noch eine andere Aktivität, die mich völlig schockiert und auf die Einheimische nicht verzichten können.

Ich spreche vom Marriage Market an der sogenannten “Matching-corner”. Ich kann Euch nicht genau sagen, wie ich mir diese Hochzeitsvermittlungsbörse vorgestellt habe, aber definitiv habe ich nicht erwartet, dass dort tausende von Regenschirmen in Reihen nebeneinander stehen, beklebt mit teils selbstgeschriebenen Zetteln. Auf diesen Plakaten werden die zu vermittelnden Kinder von ihren Eltern angepriesen – beschrieben wird unter anderem Alter, Größe, Sternzeichen und Gewicht. Was mich allerdings am meisten verwirrt, ist, dass auf diesem Markt keine jungen Menschen unterwegs sind, sondern Eltern passende “Partnerzettel” für ihre Kinder suchen. Omas und Opas drängen sich durch die Massen auf der Suche nach möglichen Partnern für ihre Enkel. Stimmen die Rahmenbedingungen überein, entsteht aus der kurzen Begegnung der Eltern ein Blinddate und womöglich eine ersehne Hochzeit.

In China gibt es die Redensart “das Gesicht verlieren”. Das “Gesicht” spielt im Allgemeinen eine enorm wichtige Rolle – kann man es verlieren, geben oder sogar nehmen. Der sogenannte “Verlust des Gesichts” kann als ein Art Blamage bzw. Enttäuschung der eigenen Person definiert werden und gilt als Demütigung der ganzen Familie. Kinder, die mit 30 Jahren noch nicht verheiratet sind und zu den “Sheng Nü” (Leftovers) zählen, stellen eben jene Blamage dar, die eine Familie ihr Gesicht verlieren lässt. Aus Scham und Angst vor diesem gesellschaftlichen Ruin, stellen sich die Angehörigen Sonntags an die “Matching-corner” und versuchen ihre Kinder zu vermitteln. Groß ist das Angebot und noch viel überwältigender ist die Nachfrage.

Andere Kultur andere Sitten? Ich jedenfalls war unglaublich überrascht unter welch starkem Druck die jüngere Generation in China aufwächst und wie sehr die Verunglimpfung der unverheirateten Frau von der Regierung selbst propagiert wird. Der Begriff der “Sheng Nü” wurde übrigens vor ein paar Jahren von einer Kampagne des chinesischen Staatsfernsehens eingeführt.

 

One thought on “Partnerbörse Shanghai. Oder: weiblich, ledig sucht

  1. Wer braucht schon Tinder wenn es Regenschirme und seine Großeltern gibt?
    Spannend das Ganze – und total abgedreht! Shanghai überrascht mich durch eure Erzählungen wirklich sehr. Mehr davon bitte! 🙂

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