El 11 de septiembre

Am letzten Montag war der 11. September 2017. Ohne Zweifel ein denkwürdiger Tag für viele Menschen. Für mich war der 11. September lange Zeit nur mit dem Gedenken an die Terroranschläge in den Vereinigten Staaten verbunden. Seitdem ich in Chile wohne, ist der 11. September für mich mit einem weiteren zentralen Ereignis verbunden: Dem Militärputsch unter Führung des Generals Augusto Pinochet gegen die sozialistische Regierung Salvador Allendes im Jahre 1973. An diesem Montag jährte sich der Jahrestag des Militärputsches zum 44. Mal. Zeitgleich jährte sich der Todestag des ehemaligen chilenischen Präsidenten, Salvador Allende, der sich das Leben nahm, nachdem das Militär gewaltsam in den Regierungspalast La Moneda eingedrungen war. Noch am Tag der Machtübernahme durch Pinochet wurden über 2.000 Menschen inhaftiert. In den folgenden Wochen und Monaten ging das Militär gewaltsam gegen vermeintliche Gegner, Linke, Künstler und Intellektuelle vor. In der Folge kam es zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Nach Schätzungen wurden etwa rund 4.000 Menschen während der Diktatur ermordet, die meisten von ihnen in den Wochen nach dem Putsch. Hunderte Menschen sind bis heute auf ungeklärte Weise verschwunden (“Desaparecidos”). Rund 20.000 Menschen flohen bis Ende des Jahres 1973 ins Exil. Insgesamt verließen rund eine Millionen Chilenen ihr Heimatland auf der Flucht vor der Militärdiktatur. In den kaum besiedelten Gebieten im Norden und Süden Chiles errichtete das Militär Internierungslager, in denen Oppositionelle gefoltert und ermordet wurden.

Die Meinung der chilenischen Bevölkerung über die Pinochet-Diktatur ist bis heute tief gespalten. Während die einen Pinochet als grausamen Diktator verurteilen, der für den Mord tausender Menschen verantwortlich ist, sehen andere in ihm einen Helden, der das Land vor einer kommunistischen Herrschaft bewahrt hat. Die vielen Sympathisanten und Anhänger Pinochets erschwerten nach den Neuwahlen im März 1990 die Aufklärung der in der Diktatur begangenen Menschenrechtsverletzungen. Auch die Arbeit der “Comisión de Verdad y Reconcilicación nacional” (Wahrheitskommision) wurde durch die nach wie vor große Autonomie des Militärs stark eingeschränkt. Erst in den folgenden Jahre konnte die Macht des Militärs schrittweise eingedämmt und Gerichtsverfahren gegen einige Generäle in die Wege geleitet werden. Augusto Pinochet blieb bis März 1998 als militärischer Oberbefehlshaber im Amt. Im September desselben Jahres wurde er von der spanischen Justiz verhaftet, aber nach siebzehn Monaten aus gesundheitlichen Gründen wieder freigelassen. Bei seiner Rückkehr nach Santiago de Chile im Jahr 2000 wurde Pinochet mit militärischen Ehren empfangen. Eine im Dezember 2000 erhobene Anklage gegen ihn wegen Menschenrechtsverletzungen scheiterte vor Gericht, nachdem er von Ärzten als verhandlungsunfähig eingestuft wurde. Pinochet starb am 3. Dezember 2006 im Alter von 91 Jahren in Santiago.

An diesem Montag hatte ich nun die einmalige Gelegenheit, die Gedenkfeierlichkeiten in Chile hautnah mitzuerleben. Im Vorfeld hatten mir meine chilenischen Mitbewohner und Professoren geraten, die Innenstadt an diesem Tag zu meiden und am besten das Haus nicht zu verlassen, wenn es nicht unbedingt notwendig sei. Der Grund dafür waren die gewaltsamen Ausschreitungen von Demonstranten in den letzten Jahren. Für mich kam es jedoch überhaupt nicht infrage, mich an diesem Tag im Haus zu verschanzen. Mit Serena, einer italienischen Doktorandin, die ich am Institut kennengelernt hatte, verabredete ich mich am Nachmittag im Zentrum Santiagos zu einem Art historischen Stadtspaziergang. Auf dem Weg zum Regierungspalast La Moneda hatte ich den Eindruck, einen ganzen normalen Montag zu erleben: Auf den Straßen herrschte das übliche Verkehrschaos, in der Metro dichtes Gedränge und Händler boten ihre Waren an den Gehwegen an. Ich war zunächst überrascht von der äußerlichen Normalität. Was hatte ich erwartet? Fliegende Steine, Wasserwerfer, Sirenengeheul und vermummte Gestalten? Je näher wir dem Regierungspalast kamen, desto mehr Polizisten kamen uns entgegen. Mir fielen zudem die vielen Touristen mit Kameras auf, die sich auf dem Vorplatz von La Moneda drängten. Serena und ich mischten uns unter die Touristen und umrundeten das Gebäude. Wir verweilten am blumenübersäten Denkmal Salvador Allendes an der Ostseite des Gebäudes und lauschten der impulsiven Rede eines älteren Mannes, der von seiner Frau gestützt wurde. Wir gingen weiter zur Morandé 80, der Tür an der Ostseite des Palastes, durch den der Leichnam Allendes am 11. September 1973 hinausgetragen wurde. Auch hier versammelten sich Menschen, legten Blumen nieder und zündeten Kerzen an. Wir wollten gerade unseren Weg fortsetzen, als wir auf eine Gruppe von Künstlern aufmerksam wurden, um die sich bereits eine Menschentraube gebildet hatte. Die Künstlergruppe hatte eine Reihe von Performances vorbereitet mit denen sie an die in der Militärdiktatur begangenen Verbrechen erinnerten. Ich war überrascht, dass die Polizeibeamten die zum Teil doch etwas skurrilen Performances duldeten und sogar einen “Angriff” mit einer Wasserpistole durch einen der Künstler mit Humor nahmen.

Von La Moneda gingen wir weiter zur Gedenkstätte Londres 38. Das Gebäude diente der Dirección de Inteligencia Nacional (DINA, Nationaler Geheimdienst) als Gefängnis und Folterstätte für Oppositionellen und Verdächtige während der Militärdiktatur. Heute steht das Gebäude Besuchern offen und informiert über die Verbrechen, die in den Räumen im Zentrum der chilenischen Hauptstadt stattgefunden haben. Am Eingang der Gedenkstätte hatten Menschen ein Meer aus Lichtern entzündet und Rosen niedergelegt. Daneben spielte ein Mann auf seiner Gitarre. Auf einer Tafel im Eingangsbereich hatten Besucher bewegende Botschaften hinterlassen. Die Atmosphäre an diesem Ort war bedrückend, traurig und doch irgendwie friedlich. Viele Vorbeigehende hielten inne, lauschten den Gitarrenklängen, andere setzten sich auf den Boden, lasen die hinterlassenen Botschaften auf kleinen Zettelchen und starrten in das Kerzenmeer.

Der 11. September 2017 in Santiago de Chile ging friedlich zu Ende und ich bin dankbar und froh, den Rat meiner Professoren und Mitbewohner, an diesem Tag Zuhause zu bleiben, nicht befolgt zu haben.

One thought on “El 11 de septiembre

  1. Liebe Tomke,
    ja, es ist wirklich verrückt, wie sehr man mit diesem Datum “nur” die Terroranschläge in New York verbindet. Danke für deinen Blogeintrag, nun werde ich auch an etwas anderes an diesem Tag denken und ich habe auch noch Einiges gelernt.
    Gut, dass du rausgegangen bist, um das Feeling mitzubekommen! 🙂
    In diesem Sinne: Viva Tomke in Chile! Bis bald…

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