Erstaunliches oder Wohnungssuche auf argentinisch

In eine Stadt zu kommen, die groß, laut und unübersichtlich ist, das ist ja sowieso schon eine mittelgroße Herausforderung. Doch in eine neue Stadt kommen und nicht zu wissen, wo und wie und mit wem man die nächsten Monate verbringen wird, das ist nochmal eine ganze andere Sache. Noch nie war ich so unvorbereitet, so unorganisiert ins Ausland gegangen, doch vor drei Tagen war es soweit und ich landete in Buenos Aires ohne einen genauen Plan.

Mir war erzählt worden, dass es am einfachsten sein würde, vor Ort ein Zimmer zu suchen, da der Wohnungsmarkt groß sei und die meisten Zimmer quasi ab sofort bezogen werden könnten. Also fügte ich mich meinem Schicksal und organisierte lediglich eine Unterkunft für die ersten paar Tage. Ganz geheuer war mir das nicht, so komplett ohne einen Anhaltspunkt über den Teich zu fliegen, aber das war dann wohl meine erste Einfügung in die argentinische Gesellschaft: Klappt schon, mach ich einfach mal so.

Und tatsächlich: Nur wenige Stunden, nachdem ich ein Gesuch auf einer halb-seriösen Plattform online gestellt hatte, war mein Postfach voll mit Nachrichten und Zimmerangeboten. Bei einigen schüttelte ich den Kopf über den horrenden Preis (kann ja nicht sein, dass ich noch mehr zahlen muss als in Konstanz…), andere fand ich noch nicht mal auf der Karte, weil sie so weit außerhalb lagen und viele waren als Doppelzimmer mit jemand anderem vorgesehen. Nach gründlicher Sortierung machte ich mich dann gestern auf den Weg, ein paar Exemplare zu besichtigen. Und das war schon eine kleine Odyssee!

Zu Wohnung n°1 gelangte ich im Bus (erstes Mal Busfahren, geschafft, wenn auch mit einigen Schwierigkeiten, weil keine Haltestellen und so…), das Viertel Villa Crespo ist klein aber lebhaft und dabei weniger aufgeregt und laut als das Stadtzentrum. Ein paar nette Cafés an den Ecken, ein Gemüsehändler gegenüber, viele – noch kahle – Bäume auf den Gehwegen. Die Bewohnerin – zufälligerweise ebenfalls eine Studentin an der UNTREF – empfing mich mit einem Kaffee in ihrer Küche und wir unterhielten uns fast eine Stunde miteinander, zwischen uns auf dem Tisch lag die Katze und schnurrte uns zustimmend zu. Der Balkon ist vergittert, wie so oft hier in der Stadt, aber naja, immerhin gibt es einen. Dazu ein großes Wohnzimmer, in dem ich mich auch gerne ausbreiten könnte und ein hochklappbarer Couchtisch, dank dem man dann ganz gemütlich auf der Couch sitzen kann, den Computer vor sich fürs Essay und eigentlich auf den Fernseher starrt. Klingt nach gutem Arbeitsumfeld. Der einzige Haken: Das zu vermietende Zimmer hat nur ein kleines Fenster, oben unter der Decke, und auch ansonsten wenig Platz, zu wenig jedenfalls für meine Yogamatte!

Wohnung n°2 liegt näher am Stadtzentrum, in einer sehr ruhigen Straße und einem gigantischen Herrenhaus. Die Vermieterin empfing mich herzlich an der Tür und führte mich dann zu den 4 Zimmern, die an Studentinnen vermietet werden. Über eine Art schmaler Balkon im Innenhof gelangt man zu den einzelnen Zimmern, doch tatsächlich hat keines (wirklich keins!) ein Fenster. Gelüftet werden kann nur durch das Öffnen der “Balkontür” in den sehr dunklen Innenhof. Da bekommt “Dunkelheit” gleich einen ganz neuen Beigeschmack… Die Vermieterin lud mich auch noch auf einen Tee ein und erzählte vom gemeinsamen “Familienessen” ein Mal die Woche, zu dem alle Mieterinnen zu ihr in die Wohnung kommen, um zu erzählen. Dass die Gastfreundlichkeit hier groß geschrieben werden würde, war mir sofort klar, doch gleicht das ein stockdunkles Zimmer aus?

Zu Wohnung n°3 konnte ich von meiner aktuellen Unterkunft aus laufen, direkt um die Ecke befand sich ein kleiner Markt und das Gebäude war schick und sauber. Der Vermieter, der auch selbst in der Wohnung wohnt, führte mich herum, zeigte mir das kleine aber feine Zimmer und das private Bad dazu, den (nicht vergitterten) Balkon und die eher sporadisch ausgestattete Küche. Er selbst ist Tennislehrer und hat einen kleinen e-commerce, das heißt der Wohnzimmerschrank war nicht voll mit Büchern (wie es eher mein Geschmack gewesen wäre…), sondern mit T-Shirts, Shorts und Tennistaschen, die er online vertickt. Ich bin ja absolut für innovative Arbeitsweisen, aber ob ich da dazwischen meine Hausarbeiten über Migration und indigene Gesellschaften schreiben kann, bezweifle ich irgendwie.

San Telmo ist eines der Touri-Viertel in Buenos Aires, gleichzeitig aber auch eher arm und heruntergekommen, und dort befand sich Wohnung n°4. Während alle anderen Angebote Zimmer in Wohnungen innerhalb eines sehr großen Gebäudes gewesen waren, gab es hier nur eine Klingel für das ganze Haus. Geöffnet wurde mir vom Vermieter, der mich herumführte – der Weg zum Zimmer musste auch erstmal gefunden werden! Es handelt sich bei dem Gebäude um ein Künstleratelier, das regelmäßig für Aufführungen wie Tanz, Performance oder Theater vermietet wird. Man kann es schon charaktervoll nennen, denn die Decken sind unglaublich hoch (ungelogen, mindestens 6m!), es gibt zwei riesengroße leere Räume mit Parkett, an deren Wänden zahlreiche Stühle aufgereiht sind und einige große, golden gerahmte Spiegel. So groß, dass meine Worte durch den Raum hallten… Schließlich ging es noch ein Stockwerk höher, vorbei an abblätterndem Putz und großen Fenstern, die den Blick über die Dächerlandschaft des Viertels preisgaben und durch die der Wind pfiff. Oben dann zwei Zimmer, das eine aktuell an einen Franzosen vermietet, in der Küche ein klappriger Tisch mit zwei Plastikstühlen, ein Gasherd mit zwei Platten und Geschirr im Spülbecken. Das Zimmer ist eins der größten, dass ich mir angeschaut habe, doch die Matratze sah nicht besonders vertrauenserweckend aus und die riesige Dachterrasse bietet zwar einen atemberaubenden Blick, aber sowas wie ein Geländer sucht man eher vergebens. Man könnte die Atmosphäre dieses Ortes durchaus als romantisch und authentisch beschreiben, doch mir kamen da eher andere Worte in den Sinn…

Das folgende Zimmer n°5 (beste Lage, einen Block vom Rosa Rathaus entfernt und ein wunderschönes Gebäude) war eins von 10 weiteren in der Wohnung, in der insgesamt 15 Menschen wohnen… Ich mag Menschen, ich mag sie wirklich sehr, und ich würde auch sagen, ein geselliger Mensch zu sein, doch ganz ehrlich: 15?! Das ist sogar mir ein bisschen zu viel, und das obwohl in unserer Wohnung in Konstanz stets viele Leute ein- und ausgehen. Aber selbst da kriegen wir es oft genug nicht mit dem Abwasch hin und dass das mit noch mehr entsprechend schwieriger ist, sah man leider auch in deren Küche. Ich hatte in Buenos Aires eigentlich unbedingt in einer internationalen WG mit vielen Menschen leben wollen und am besten noch mit Dachterrasse (die es hier auch gab, und zwar was für eine!), doch ob sich das da lohnt?

Schließlich zu guter Letzt – wie sollte es auch anders sein – gab es auch noch ein Zimmer bei einer Tangotänzerin. Dass ich den obligatorischen Punkt, eine Ballerina kennenzulernen, gleich am dritten Tag abhaken könnte, hätte ich echt nicht gedacht! Zimmer n°6 befand sich also in ihrer kleinen Wohnung, vollgestopft mit Deko und Krimskrams, mit Hüten an den Wänden und einem Plattenspieler im Regal. Ich musste Hausschuhe anziehen, da sie auf dem Boden immer ihre Übungen mache, und konnte den Ausblick aus dem 8ten Stock bewundern und das glänzende Bad. Hinzu kam so ein ganz besonderer Geruch von Oma – denn die Tangoballerina alias Vermieterin war schon älter, pickfein mit perfekt gelegten, blondierten Haaren und stolz auf sich. Da erfuhr ich in der halben Stunde in ihrem Heim sehr sehr viel von ihr: Dass sie gerade ein bisschen dicker sei (haha, never!), weil sie nicht mehr so viel tanze, dass aktuell ein Tangofestival stattfinde, dass sie jahrelang mit einem amerikanischen Tangotänzer zusammen gewesen war und da – ha, ja damals! – da seien sie viel gereist und dass sie nur vegetarisch esse, wegen der Linie und so. Ich kann euch sagen, besser hätte ich mir eine in die Jahre gekommene Tänzerin nicht ausdenken können!

Ich bin gerade mal drei Tage in Buenos Aires, doch dank dieser Wohnungssuche kenne ich mich inzwischen schon ziemlich gut aus und mein Kopf ist voll mit Eindrücken und Ideen. Vielleicht ist der größte Vorteil daran, eine Wohnung vor Ort zu suchen, eben nicht, dass man sich einen tatsächlichen Eindruck vom Zimmer machen kann, sondern dass man vor allem eine Idee von der Stadt und seinen Menschen bekommt. Dafür hat es sich auf jeden Fall gelohnt!

Was meint ihr, in welches Zimmer werde ich einziehen?

One thought on “Erstaunliches oder Wohnungssuche auf argentinisch

  1. Charlotte, oh man, das ist so aufregend, deine Erfahrungen zu lesen! Ich fühle mich, als wäre ich nochmal da und ich konnte mir wirklich, WIRKLICH JEDE, Wohnung so gut vorstellen! Bei der 15-Personen-WG könnte ich eventuell auch gewesen sein…

    Mein Tipp: Zimmer Nummer 1! (Yoga machst du dann mit der Katze im Wohnzimmer.)

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