Erste Eindrücke aus Südafrika oder The Fear Of Missing Out

The Fear of Missing Out; kurz: FOMO; deutsch: die Angst, etwas zu verpassen – ein Gefühl, das ich schon seit meiner Kindheit gut kenne, das ich aber immer noch nicht ganz losgeworden bin und bei dem ich mir daher etwas komisch vorkomme, wenn ich es heute empfinde. Es ist aber genau das Gefühl, das meine ersten fünf Wochen hier in Pretoria am treffendsten beschreiben könnte. Ein Auslandssemester in Südafrika, am „anderen Ende“ der Welt. Monatelange Vorbereitungen, Stress, jede Menge Vorfreude, und am wichtigsten: Erwartungen! Erwartungen an das Land, an das Studium, an sich selbst, ja sogar Erwartungen an die Erfahrungen, die man machen möchte und für deren Realisation man weniger als sechs Monate Zeit hat. Einlebezeit, Orientierungszeit, Kennenlernzeit – nach vier Wochen permanenter Reizüberflutung sollte sicherlich auch ein FOMO einmal innehalten, sich zurücklehnen und beginnen, nachzudenken. Welche Erwartungen hatte ich, bevor ich nach Südafrika gekommen bin? Was hat mich im Voraus beschäftigt?

Um das Thema Sicherheit hat sich einiges gedreht. Es ist natürlich etwas, was man von Deutschland so nicht gewöhnt ist. In unserem „Studentendorf“, das sieben Minuten vom Campus entfernt ist und das nur mit Studentenausweis durch eine Drehtür betreten werden kann, fühlt man sich sicher. Ebenso in unserem Stadtteil Hatfield – ein ruhiges, übersichtliches Viertel. Trotzdem kann man nicht einfach so losgehen und die Stadt zu Fuß erkunden. Man plant seine Wege gut, für längere Strecken benutzt man die zuverlässigen Uber-Taxis, man ist meistens in Gruppen unterwegs. Wenn man seine Tasche packt, überlegt man sich genau, was man wirklich dabeihaben muss oder was man vielleicht zu Hause lassen könnte. „Südafrika ist nicht gefährlicher als andere Länder“, meinte eine Kommilitonin zu mir. „Du musst dich nur richtig verhalten. Wenn eine unbeleuchtete Straße vor dir auftaucht, dann geh’ eben nicht hinein!“ Klang eigentlich vernünftig. Würde man in Deutschland wahrscheinlich auch nicht tun. Wenn man sich also so verhält, wie es einen von Einheimischen geraten wird, wenn man stets aufmerksam ist und ein bisschen sensibler für unübersichtliche Situationen wird (und sich ihnen dann entzieht), dann passiert nichts. Eigentlich. Und bis jetzt zumindest. Es ist jedenfalls nicht so wild, wie ich es mir im Voraus ausgemalt hatte. Unter diesen neuen Umständen kann man auch einiges lernen. Man lernt, sich mit anderen gut abzusprechen. Darauf zu vertrauen, dass man es zusammen schon schafft. Vor allem lernt man, geduldig zu sein und mehrmals täglich Sicherheitsgates zu durchlaufen. Und das geht schließlich nirgendwo schnell.

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Von der University of Pretoria hatte ich vor Antritt meines Auslandssemesters lediglich gehört, dass die Kurse anspruchsvoll sein sollen und dass man während des Semesters immer gut beschäftigt ist. Nach fünf Vorlesungs- und Seminarwochen kann ich sagen: stimmt! Es gibt sehr viel zu tun. Nahezu in jeder Woche muss in einem Kurs ein Referat gehalten, muss in einem anderen Kurs ein Essay geschrieben, müssen in einem dritten Kurs an die hundert Seiten gelesen werden. Die Vorbereitungszeit für all das ist höchst knapp bemessen und die Themenbearbeitung, die so früh im Semester stattfindet, fühlt sich für mich dementsprechend „unfertig“ an. Schließlich ist man daran gewöhnt, erst am Ende des Semesters Prüfungen abzuliefern, wenn man ein Thema einigermaßen überblicken und einordnen kann. Gleichzeitig muss man hier immer präsent sein, immer am Ball bleiben, was sicherlich auch nicht schlecht ist. Bei welchem Modell jedoch der Lerneffekt am größten ist, werde ich wohl erst am Ende beurteilen können.

Zum FOMO-Empfinden trägt sicherlich auch bei, dass in meiner Unterkunft „Tuksdorp“ neben den Postgraduates auch alle anderen Austauschstudenten untergebracht sind. Meine WG selbst setzt sich aus vier verschiedenen Nationalitäten zusammen. Mir gefällt die Atmosphäre hier – es ist ein ständiges Kompromissfinden, ein ständiger Austausch über Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Am meisten schweißt uns schlicht die eine große Gemeinsamkeit zusammen, aus denselben Interessen nach Pretoria gekommen zu sein und unsere Erfahrungen hier miteinander teilen zu können. Egal, wie unterschiedlich wir sein mögen, welche Sprache wir sprechen oder welche Vorstellungen wir haben – am Ende finden wir doch alle wieder an diesem einen Punkt zusammen. Das gefällt mir gut. Auch wenn ich dadurch gleichzeitig das Gefühl nie ganz loswerde, in einer Blase zu leben. In einer Blase, von der aus ich alles durch eine dünne, durchsichtige Wand und mit etwas Abstand betrachte.

Denn es ist schließlich so: In unserer Unterkunft, in unserem ruhigen Viertel, haben wir alles, was wir brauchen. Unsere Zimmer sind fertig eingerichtet, wir mussten damals nur einziehen. Unter der Woche werden jeden Tag die Gemeinschaftsräume geputzt, was für uns alle ziemlich luxuriös ist. Wir haben Waschmaschinen, Fernseh- und Computerräume, Heizstrahler, sogar einen kleinen eigenen Swimmingpool für unser Dorf. Im Großen und Ganzen kann ich wirklich sagen, dass ich kaum etwas vermisse. Es ist anders und doch irgendwie so, wie man es gewöhnt ist. Aber ich weiß, dass es nur hier in Tuksdorp, in Hatfield, am Rande einer großen Stadt so ist. Und dass sicherlich auch viel dafür getan wird, um uns dieses Gefühl zu vermitteln. Unser Trip nach Swasiland beispielsweise hat mich innehalten lassen. Wir verließen Pretoria, verließen unser überschaubares Viertel, fuhren an Townships vorbei, an Hütten aus Blech, ohne Glas in den Fenstern, an Menschen, die sich an Feuern wärmten, da es abends immer noch sehr kalt wird. Krasse Gegensätze zwischen Stadt und Land, zwischen arm und reich. Eigentlich hatte ich mir auch das so ungefähr im Voraus vorgestellt, trotzdem beschäftigt es mich. Und gleichzeitig fuhren wir nur daran vorbei, in unserem gemieteten Automatik-Auto (das teurer war, aber leichter zu bedienen; siehe Luxusprobleme), warfen einen kurzen Blick auf alles und waren dann auch schon wieder weg. Ja, wir sind definitiv alle in einer Blase. Vielleicht kommen wir da auch nie wirklich raus. Trotzdem gehören auch diese Erfahrungen und Erlebnisse dazu – für einen real FOMO sowieso!

Zu guter Letzt (und um nicht allzu negativ zu enden) noch ein paar Sätze zur Natur Südafrikas: Sie ist tatsächlich eindrucksvoller, als ich es erwartet hätte. Das intensive Rot und Orange der Erde, dazu farblich passende Sonnenuntergänge, Sternenhimmel, die sich kuppelförmig fast bis zum Boden hinziehen, die tierischen Big Five, die mit etwas Glück und Durchhaltevermögen zum Greifen nahe kommen – das ist faszinierend und eindrücklich und einmalig. Als FOMO versuche ich, auch davon so viel wie möglich mitzunehmen. Ich bin gespannt, inwieweit mir das am Ende gelingen wird!

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One thought on “Erste Eindrücke aus Südafrika oder The Fear Of Missing Out

  1. Liebe Sophia,
    wie gut ich dieses Gefühl kenne! Und jetzt hat es also endlich auch einen fancy Namen, gefällt mir 😉
    Es klingt so spannend bei dir, ich hoffe du fühlst dich wohl in deiner bubble und kannst sie vielleicht auch mal ein bisschen vergrößern bzw. durchbrechen!
    Bin gespannt, Weiteres zu lesen.

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