Ankommen

Vor genau einer Woche bin ich am Flughafen in Santiago de Chile gelandet. Seit einer Woche wohne ich im “Casita” Dr. Torres Boonen im Stadtteil Providencia. Die Unterkunft kann man einen echten Glücksgriff nennen. Nachdem ich in Deutschland wochenlang verzweifelt nach einem passenden Zimmer für mein Auslandssemester in diversen Online-Portalen gesucht hatte, schrieb mich am Vortag meiner Abreise Felipe auf mein Gesuch hin an. Es entwickelte sich sofort ein interessantes Gespräch und ich hatte ein so gutes Gefühl mit Felipe und der Unterkunft, dass ich sogar meine bereits gebuchte AirBnB-Unterkunft wieder stornierte. So ging es also am Tag meiner Ankunft ziemlich erschöpft, aber auch aufgeregt mit einem Transvip-Shuttle (viel günstiger als ein Taxi!) vom Flughafen direkt zu Felipe nach Providencia. Dieser nahm mich mit einem selbstgemachten Fruchtshake an der Haustür in Empfang. Felipe besitzt eine eigene NGO mit dem Namen “Back to the Roots”. Mit dieser unterstützt er die indigene Bevölkerung Chiles in der Tourismusbranche. Er reist auf Einladung der Leute und mit finanzieller Unterstützung der Regierung des Landes in die Dörfer und Städte, testet die Unterkünfte, Restaurants und Freizeitaktivitäten und gibt den Leuten anschließend Vorschläge zur Optimierung ihres Angebots. Für seine Arbeit reist Felipe alle paar Wochen zu den Mapuche im Süden des Landes und zu den Rapa Nui auf die Osterinseln. Vor allem die Rapa Nui liegen ihm sehr am Herzen. Mit vielen von ihnen verbindet ihn neben der beruflichen Arbeit auch eine tiefe Freundschaft. Viele Geschenke und Mitbringsel von den Osterinseln schmücken die Wände und das Wohnzimmer in unserem “Casita”. Felipe ist unglaublich hilfsbereit, herzlich, immer am scherzen und ein bisschen verrückt. Mit ihm habe ich in jedem Fall den besten Ansprechpartner in Sachen Reisen durch Chile und Osterinseln gefunden. Zudem weiß er viel über das Leben der indigenen Bevölkerung und die Geschichte des Landes. Noch habe ich die Hoffnung, dass ich ihn auf eine seiner Reisen in den Süden begleiten kann…

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In unserem “Casita” wohnen sieben Personen auf zwei Etagen: Felipe und Isidora aus Chile, Clement aus Frankreich, Greta aus Italien, Ezgi aus Österreich, Chama aus Morokko und meine Wenigkeit. Unter der Woche ist Fransisco, genannt Pancho, im Haus, der freiberuflich als Fotograf arbeitet und sein Büro im ersten Stock eingerichtet hat. Ihm haben wir die vielen Fotografien von Chile und den Mapuche an den Wänden und in unseren Zimmern zu verdanken. Wir sind also eine sehr internationale Gruppe und sprechen insgesamt neun verschiedene Sprachen, was manchmal ziemlich verwirrend sein kann, vor allem wenn am Esstisch nebenbei mit Freunden oder Familie telefoniert wird. Nach einer Woche verstehen wir uns schon alle wunderbar, wir haben viel Spaß zusammen und nennen uns selbst “La Familia”. Mindestens einmal die Woche kochen wir gemeinsam, gehen in ein Restaurant oder lassen uns Essen liefern. Dazu gibt es natürlichen chilenischen Wein. Ich kann mich glücklich schätzen, die Unterkunft gefunden zu haben. Da ich alleine nach Santiago gekommen bin und noch niemanden dort kannte, habe ich so direkt Anschluss finden können. Außerdem finde ich es sehr bereichernd, dass wir Auslandsstudenten alle an unterschiedlichen Universitäten in Santiago studieren (Universidad de Chile, Universidad de Santiago de Chile, Universidad Católica). So können wir uns am Abend immer über unsere Erfahrungen an der Uni austauschen.. und manchmal auch unseren Frust teilen.

Momentan höre ich mir vor allem die Uni-Geschichten meiner Mitbewohner an, da meine eigenen Kurse am IDEA (Instituto de Estudios Avanzados) erst in der nächsten Woche beginnen. Das Institut und einige Mitarbeiter/innen habe ich aber bereits am vergangenen Dienstag kennengelernt. Am Vormittag hatte ich mich mit Carolina Pizarro am Institut verabredet. Gemeinsam haben wir mich für die drei Kurse, die mich thematisch besonders interessieren, eingeschrieben. Ich werde nun – wenn alles wie geplant läuft – zwei Doktorandenkurse und einen Magisterkurs besuchen. Der Magisterkurs “Aproximaciones teórico-críticas a la violencia de género en Latinoamérica” beschäftigt sich mit dem Thema der Gewalt gegen Frauen in Südamerika aus gegenwärtiger Sicht unter Bezugnahme theoretischer Texte. Besonders gespannt bin ich auf den Doktorandenkurs “Revisitar la catástrofe” von Carolina Pizarro und ihrem Ehemann José Santos, der sich mit den Militärdiktaturen in Chile, Argentinien und Uruguay auseinandersetzt. Der zweite Doktorandenkurs beschäftigt sich inhaltlich mit der großen Thematik “Racismo” in Südamerika in Hinblick auf die indigene und schwarze Bevölkerung. Ich bin schon ziemlich gespannt auf die ersten Sitzungen in der kommenden Woche. Bis dahin bleiben mir noch ein paar Tage, um mich zu akklimatisieren und weitere Ecken der Stadt zu erkunden.

Santiago de Chile ist wohl eine Stadt, in die man sich erst auf dem zweiten oder sogar erst dritten Blick verliebt. Santiago ist eine riesige Metropole mit 7 Millionen Einwohnern. Ich bin nach wie vor überrascht, dass selbst im Winter eine Smogglocke über der Stadt hängt, die ich eher im Sommer erwartet habe. Die Luft in Santiago ist dementsprechend nicht die beste, die Häuser gräulich-schwarz durch den Smog und die Straßen sind zum Teil stark vermüllt. Santiago ist eine Stadt der Gegensätze in jeder Hinsicht. Arm und Reich, Neu und Alt liegen dicht beieinander. Ein eindrückliches Beispiel hierfür ist die Architektur. Den beschaulichen Altbauten im Stadtteil Providencia stehen die modernen Glasbauten im Stadtteil Las Condes gegenüber, riesige Shoppingmalls neben kleinen Straßenständen. Auch der Verkehr in Santiago ist ein großes Thema. “Taco” (Stau) ist eines der ersten Wörter, die ich hier neu gelernt habe. Der Verkehr in Chiles Hauptstadt ist tödlich. Ohne eine Ampel würde ich es vermutlich niemals wagen, eine viel befahrene Straße zu überqueren. Und selbst bei einer grünen Ampel sollte man nicht einfach losmarschieren, ohne vorher beide Seiten geprüft zu haben. Die Autofahrer sind zum Teil ziemlich dreist und fahren einem bis vor die Füße. Eines steht fest: Hinter das Steuer werde ich mich hier nicht so schnell setzen.

In den sieben Tagen, die ich bereits hier lebe, hat sich mir Santiago vor allem von seiner grauen, nasskalten Seite gezeigt. In Chile herrscht momentan noch Winter und dazu noch einer der kältesten Winter seit langem. Vor wenigen Wochen hatte es sogar noch geschneit und viele Haushalte waren kurze Zeit ohne Strom. Die Stadt ist für die Kälte nur unzureichend gerüstet – diese Erfahrung muss ich leider selbst tagtäglich machen. Die meisten Häuser und Wohnung besitzen keine Heizung, die Wände und Fenster sind schlecht isoliert. Auch unser “Casita” besitzt keine Heizung, aber zum Glück hat Felipe Heizlüfter angeschafft, die wir hin und wieder anschalten, wenn die Kälte unerträglich wird. Während das Thermometer tagsüber auf bis zu 15 Grad ansteigt, ist es am Morgen und Abend unglaublich kalt. In Santiago ist deshalb der “Zwiebellook” angesagt. Im Laufe des Tages “schält” man sich Schicht für Schicht aus seinen Klamotten, um sie sich am Abend wieder überzuziehen. Zu meinen ersten Besorgungen in Santiago gehörten dicke Socken, gefütterte Hausschuhe und eine Wärmflasche (witzigerweiße “Made in Germany”) – Das Starterpaket für den chilenischen Winter. Aber wenn man den Chilenen glauben darf, dann kehrt der Sommer bereits nächsten Monat ein. In Chile gibt es nämlich eigentlich nur zwei Jahreszeiten: Sommer und Winter. Frühling und Herbst werden achtlos übersprungen. Ich zumindest kann den Sommer kaum erwarten!

Am kommenden Wochenende werde ich mit meiner Mitbewohnerin Ezgi und einer ihrer Kommilitoninnen einen viertägigen Ausflug nach Valparaíso, Viña del Mar und La Serena unternehmen. Da Montag und Dienstag Feiertage in Chile sind, wollen wir das verlängerte Wochenende unbedingt für einen Ausflug nutzen. Freut euch also auf viele Fotos in meinem nächsten Eintrag.

Saludos!

2 thoughts on “Ankommen

  1. Liebe Tomke,
    Ich freue mich, dass du eine so schöne Casita mit tollen Mitbewohnern gefunden hast! Besonders die Unterhaltungen mit Felipe über die Mapuche und Rapa Nui klingen sehr spannend und passen ja mal wieder perfekt zu den Diskussionen des letzten Semesters. 😉
    Ich wünsche dir eine tolle Zeit beim verlängerten Wochenendtrip und einen guten Start in die erste Uniwoche. Pack dich immer schön warm ein, Wind und Wetter bist du als Nordlicht ja gewöhnt. 😛
    Ganz liebe Grüße aus der Heimat!

    1. Hallo Matthias,
      vielen lieben Dank! Ich den nächsten Tagen folgen ein paar Bilder von meinem ersten Trip durch Chile. 🙂
      Liebe Grüße nach Deutschland

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