Dieser Blogeintrag ist eigentlich keiner, der an den Schluss gehört. Es sind diese Kleinigkeiten, die einem auffallen und die darauf warten zu einer größeren Geschichte zu werden. Daher wartet man und man wartet darauf, dass sie sich entwickeln und erzählenswerter werden. Man sieht schließlich ein, dass es dazu nicht kommen wird und beschließt sie als kurze Notizen aufzuschreiben. Aber wie das mit Notizen so ist, man schreibt sie auf einen Zettel, im Smartphone, in gedanklichen Listen im Kopf. Lesbar für andere sind sie dann noch nicht. Die Zeit hier in Hong Kong neigt sich nun dem Ende zu und daher ist die Dringlichkeit größer geworden, die Notizen – jetzt oder nie – mit euch zu teilen.
Einer der ersten Dinge, die ich hier an der Lingnan Universität gesehen habe und mich beschäftigt hat, war eine Zeitschrift herausgebracht von Studierenden. Ich konnte im Inneren nichts lesen und nur die Bilder anschauen und mir überlegen, über was hier wohl geschrieben wird. Wie früher, als ich noch nicht lesen konnte und mir trotzdem alle Donald Duck Comics durchgesehen habe. Ich weiß nicht, ob die Geschichten damals mehr Sinn für mich gemacht haben, als wenn ich heute auf kantonesische Zeichen starre. Auf der Rückseite der Zeitschrift jedoch, waren plötzlich deutsche Sätze zu lesen. Sie kamen mir genau so rätselhaft vor, wie alles, was ich davor gesehen habe und Nietzsches Worte begleiten mich seitdem: Wer viel einst zu verkünden hat, schweigt viel in sich hinein. Wer einst den Blitz zu zünden hat, muß lange Wolke sein.
Chinesischer Humor (oder Humor aus Hong Kong?) tendiert dazu gemein zu sein. In unterschiedlichen Situationen wurde mir durch unterschiedliche Personen erklärt, dass Fragen nach der Verfassung („Wie geht es dir?“) als Distanz-wahrendes Mittel der Wahl genutzt werden und wenn man miteinander befreundet ist, fragt man daher nicht, wie es einem geht. Oder man berichtet mir stolz: „My friends always say I am so mean!“. Oder man sagt ganz offen: „Du siehst so seltsam aus, wenn du dich konzentrierst, hahahaha, deine Augen!!“, oder: „Yes, they always joke about my Cantonese.“ Zu Fremden muss man höflich sein, deswegen wird Nähe durch Sticheln und fiese Kommentare ausgedrückt.
Unser Campus ist so schön, dass am Wochenende Familien und Paare kommen, um die Stille zu genießen und Fotos zu machen. Der Campus strahlt an Wochenenden, wenn die meisten Studierenden nicht da sind, eine friedliche Ruhe aus. Das kann entweder ein schönes oder ein verwirrendes Gefühl auslösen.
Es herrscht eine andere Körperlichkeit. Ich tendiere dazu, Menschen, die ich mag, anzufassen, was auch Deutsche oft genug als seltsam empfinden. Hier wird man unter Freunden nicht umarmt, nur manche Einheimische machen das – dann aber in dieser distanzierten Form der Umarmung. Und manchmal vielleicht auch nur, weil sie antizipieren, dass ich sie gerne zum Abschied umarmen würde. Gleichzeitig gibt es viel weniger Distanz in öffentlichen Situationen. Zum Beispiel beim Schlange stehen (britisches Erbe?) kann es schon passieren, dass dir Menschen „auf die Pelle rücken“. In Anführungszeichen, weil das natürlich nur ich in diesem Moment so empfinde (zu wenig Abstand zwischen der fremden Person und mir) und die anderen Personen wahrscheinlich meine irritierten Blicke nicht verstehen. Oder du stehst im Museum circa einen halben Meter vom Ausstellungsstück entfernt und liest die Erklärungstafel. Dann siehst du die Tafel nicht mehr, weil zwei Chinesen vor dir stehen.
Einer der größten kulturellen Unterschiede sind wahrscheinlich die unterschiedlichen face display rules (zu Deutsch etwa die internalisierten, kulturell erlernten Regeln, die bestimmen in welchen Momenten welche Gefühlsregungen auf dem Gesicht ablesbar sind). Chinesen haben sehr viel öfter einen neutralen Gesichtsausdruck als Europäer. Das kann manchmal irritierend sein. Zum Beispiel, wenn noch dazu kommt, dass manche keine Laute des Verstehens in einer Konversation mit einfügen (ich meine damit die „mhm“‘s und „ja“‘s in einem Dialog, die dem Gegenüber signalisieren, dass man zuhört und mitdenkt – oder zumindest es so scheinen lassen). Wenn ich so überlege, habe ich auch noch kein chinesisches Gesicht gesehen, das verärgert oder böse geschaut hat. Emotionen werden einfach nicht so offen gezeigt, oft aus Höflichkeit.
In einem meiner Seminare, in dem wir das Verhältnis zwischen Körper und Geist, die Bedeutung von Bewusstsein und das Entstehen von Emotionen sowie das Verständnis und Verstehen all dieser Komponente aus philosophischer und psychologischer Sicht behandeln, ging es auch immer wieder um das unterschiedliche Verhalten bezüglich der Emotionen. Mein Dozent, ein US-Amerikaner, sieht sich auch immer wieder mit den unterschiedlichen Verhaltensweisen konfrontiert und spricht sie manchmal an.
Hong Kong ist verdammt nochmal subtropisch. Ende Oktober lief mir bei kleinster Anstrengung noch der Schweiß den Rücken runter. Bei um die 30 Grad und 80% Luftfeuchtigkeit wahrscheinlich kein Wunder. Der Unterschied zum „Hochsommer“ liegt übrigens in der 10% zurück gegangenen Luftfeuchtigkeit. Und nun Anfang Dezember herrscht hier herrlichstes Frühlingswetter. Das ist zumindest die Kategorie, die ich von Zuhause auf das Wetter im Moment übertragen kann. Wenn nach einem langen Winter, die Luft zum ersten Mal etwas wärmer ist, aber noch nicht heiß. Die Sonne strahlt warm und die Luft riecht frisch. Die Büsche und Bäume blühen lila und rosa. Blumen, die an Krokusse erinnern, sprießen aus dem Boden.
Andere Tierarten. Viele Schmetterlinge, kleine Geckos, große Tausendfüßler, ein paar Kakerlaken, viele, viele Stechmücken, die viel kleiner sind als die Mücken in Konstanz. Sie sind so klein, dass sie kaum auffallen und sie brummen auch nicht. Es gibt noch diverse andere Insekten, die dich gerne beißen. In der Nähe von Gräsern, auf den Duschen und Toiletten, in Räumen, die konventionell gelüftet werden. Daher wahrscheinlich die Liebe zu Klimaanlagen, die ich gut nachvollziehen kann (weniger Stiche am Ende des Tages!). Kleine Frösche und größere Kröten, Schildkröten und Kois. Die Kröten, die im nahe gelegenen Wet Market angeboten werden, sehen übrigens genau so aus wie die Kröten, auf die man im Campusgelände manchmal trifft. Angeboten werden sie übrigens in einem Käfig, in dem sie lebend gestapelt sitzen.
Hong Kong ist ordentlich und nicht chaotisch. So zumindest mein Empfinden. Alles ist gut geregelt, einfach zu verstehen (auch wenn ich davon gewisse Wegzeichen ausklammern will). Die Untergrundbahn und die Busse haben klare Fahrpläne, fahren oft und führen immer zum Ziel. Alles ist mindestens zweisprachig ausgeschildert (Kantonesisch und Englisch), manchmal findet man auch noch Mandarin. Die Stadt ist sauber. Außer die Luft natürlich, aber so schlimm, wie im inneren von China ist es nicht.
Hong Kong ist Stadt und Dorf zugleich. Hong Kong ist wildbewachsene Berge / Meer / Verkehr / Metrostationen / Häfen / Inseln / Wolkenkratzer / Wolkennadeln / Essen / Shopping Malls / Moskitos / Laut und Still / Menschen.
Oft werden Wohnblöcke auf große Einkaufshallen gebaut. Unten shoppen, oben wohnen.
Man sieht viele Menschen mit Rollkoffern in der Stadt. In die Koffer werden die Einkäufe gepackt (laut den Menschen in Hong Kong sind diejenigen mit Koffern immer Festlandchinesen).
Ach, dazu passt noch: Im Sommer schützt man sich mit dem Regenschirm vor der starken Sonne. Gleichzeitig ist der Regenschirm auch sehr nützlich, falls es zu einem plötzlichen heftigen Regenschauer kommt.
Hong Kong ist Blinden-freundlich. Man findet überall flache Erhebungen auf dem Boden, die einen den Weg anzeigen, auf Kreuzungen und Straßenüberquerungen aufmerksam machen. Wir haben lange gerätselt, warum man immer wieder auf die selbe Melodie trifft: am Eingang der Uni, am Eingang der Shopping Mall, am Eingang einer anderen Shopping Mall. Es ist die Melodie, welche mit ihrem Singsang die Übersichtstafeln für Blinde markiert.
Diese Melodie ist eine der wenigen melodischen Töne, auf die man in Hong Kong trifft. Im Straßenleben spielt Musik überhaupt keine Rolle.
Volunteering. Es gibt immer wieder Events, bei denen man auf eine enorme Anzahl an Freiwilligenarbeit trifft, meist von jungen Menschen. Engagement und der Wille nach Gemeinschaft findet man hier vielleicht häufiger.
Hong Kong Identity. Die Identität der Bewohner Hong Kongs scheint stark an einer Generationenkluft gespalten zu sein. Die älteren, meist ja auch aus Festlandchina stammend, identifizieren sich stark mit China. Die jüngeren wollen die Unabhängigkeit und betonen die Einzigartigkeit von Hong Kong. Sie wünschen sich Freiheit und Souveränität. Vielleicht ist für sie China eine fremde Macht, sowie für die ältere Generation die Briten eine fremde Macht waren.
Kantonesisch ist eine laute Sprache mit neun melodischen bedeutungstragenden Tönen.
Ans Warten muss man sich gewöhnen. Ich erinnere mich daran, als ganz am Anfang des Semesters mein Buddy mir von ihrer Erfahrung im Auslandssemester in Österreich erzählt hat: dort würden die Leute nicht aufs Essen warten – wenn das Restaurant keine Plätze hat, dann geht man in ein anderes. Hier ist das nicht so, man zieht Nummern fürs Restaurant und wartet bis Platz für einen gemacht wird.
Man hat auch plötzlich kein Problem mehr eine Stunde lang nur zu stehen – auch wenn man sich lieber in der Metro hinsetzten würde.
Und zum Schluss, weil ich das in meinem Eintrag über das Essen, einfach vergessen habe zu beschreiben: Chinesen teilen ihr Essen, wenn sie ins Restaurant gehen. Man bestellt gemeinsam und isst gemeinsam die vielen, vielen Gerichte, die man zusammen bestellt hat. Wenn man mit Chinesen essen geht, denkt man immer, es können nicht noch mehr Platten voller Essen kommen – aber es kommen immer noch mal mehr. Reis wird übrigens traditioneller Weise am Ende serviert. Vielleicht weil er so sättigt? Am Ende dann noch Reis, damit man auf jeden Fall satt wird.
Wenn man mit anderen Austauschstudierenden essen geht, bleibt man – selbst wenn man darüber geredet hat – im gewohnten kulturellen Muster haften: jeder isst seinen eigenen Teller auf.
Sehr gute Notizen der Beobachtungen! Dazu würde ich meine Erfahrungen anbieten, um sie vergleichbar zu machen.
1. Begrüßung und Ausdrucksweise
“Wie geht es dir” war/ist für mich ein sehr irritirender oder verwirrender Begrüßungssatz, denn ich weiß nicht, ob die Fragesteller mich wirklich nach meiner Umständen fragen möchten. Außerdem fühle ich mich unehrlich, wenn ich mit “gut” darauf antworte. Andere Ausländer, die zumindest Englisch nicht als Muttersprache sprechen(“How are you?””Fine”), haben oft auch diese Probleme. Eine mögliche Lösung wäre, einfach mit “Danke” zu antworten.
Über die Benutzung von Sticheln oder fiesen Kommentaren bestände womöglich ein Zusammenhang mit dem (akademischen) Hintergrund, wenn wir von dem Verhaltensmuster von Studierenden sprechen. Nämlich, in Taiwan ist das Sticheln ganz von denjenigen beliebt, die Naturwissenschaft studieren. Ich habe bemerkt, dass ein deutlicher Unterschied der Ausdrucksweise zwischen Naturwissenschaftlern und Geisteswissenschaftlern auch besteht. Das führt dazu, dass ich bei Naturwissenschaftlern gewissermaßen mehr verstehen kann, weil sie mehr körperliche und verständlichere Sprache sprechen.
2. Distanz der Menschen
Das stimmt, dass in Deutschland man normalerweise einen größeren Abstand miteinander halten. Allerdings, wenn man konkrete Situationen betrachtet, wäre die Wertung nicht so klar mehr. Z.B. wenn ich auf einem engen Durchgang zwischen Bücherschränken in der Bib gehe, gebt mir fast niemand den Vorrang zum Durchgehen, sondern ich von Weitem sie schon gesehen habe und mache das so.
Allerdings könnte ich feststellen, dass Deutsche sehr sensitiv über das Anfassen anderer Dinge wären. Manchmal fände ich manche Leute darüber zu sensitiv. Im Gegensatz zum physikalisch räumlichen Abstand wären Deutsche über lautlichen Abstand relativ ziemlich nicht sensitiv. Ich fühle mich oft von Geräuschen gestört. Z.B. eine Tür ohne “langsam zumachende Einrichtung” in der Bib lässt man immer ausnahmslos einfach selbst zumachen, statt sie leicht bzw. richtig zuzumachen. Aber dieses hätte auch mit der Gewohnheit der Schließung und der Denkweise (“Das ist nicht meine Schuld oder Verantwortung.”) zu tun.
Übrigens verstehe ich immer nicht, warum Leute gerade auf dem Durchgang stehen können, ohne zu betrachten, dass andere hinter auch durchgehen können. Es wäre schon klar, dass Deutsche sich als weniger in der Gemeinsamkeit betrachten, als Ostasiaten, was Vorteile und Nachteile liefert.
3. Emotion und Gesichtsausdruck
Ich fände es angenehm, wenn mir eine Gerichte mit dem Lächeln serviert wird und ich auch damit antworte. Dieses passiert wahrscheinlich nicht in Taiwan. (In HK wäre es sogar notorisch.) Ich möchte nicht nur von Dienstleistungen sprechen, sondern allgemein vom Umgang der Menschen. Wenn Kunden in eine Geschäft eintreten, werden die Begrüßung nur einseitig von der Seite der Geschäft ausgedrückt. Viele Ausländer schätzen die Höflichkeit bei Dienstleistungen in Taiwan, aber ich weiß, dass der Umgang, der durch die Begrüßung und Gesichtsausdruck gezeigt wird, quasi so ungesund wäre, dass man niemals daran denkt, andere mit Gesichtsausdruck rechtzeitig seine gute Gefühle ausdrücken zu müssen.
Was ich jetzt erzähle, überschreitet vielleicht ein bisschen weit von dem, was du erzählt hast. Aber dir stimme ich grundsätzlich zu. Allerdings denke ich, dass die Gründe dafür vielleicht mehrdimensional wären. Ich drücke jetzt deutlich mehr mit körperlichen Sprachen aus, auch um meine Gedanke mit einer fremden Sprache begreifbar zu machen. Außerdem habe ich ein Gefühl, dass Deutsche relativ öfter in guter Laune wären, dagegen sind Ostasiaten unter Druck.
4. Reis als Hauptessen
In Ostasien gilt (Weiß)Reis als Hauptessen, dagegen in Deutschland nur als Beilage. Dieses wäre einer der Gründe dafür, dass ostasiatische Studierende in einer deutschen Mensa immer mehr Reis oder Nudeln nehmen als Deutsche, ansonsten fühlt man sich einfach nicht satt. (Der andere Grund wäre, dass wir uns an die deutsche Gewohnheit zum Essen anpassen mässen, dass man innerhalb eines Tages nur eimal am Tag warm isst.)
Über die Beobachtung, dass Reis in HK am Ende serviert wird, damit man sich satt lassen kann, könnte ich nicht bestätigen. Aber diese würde nicht völlig zur Gewohnheit von Ostasiaten entsprechen. So weit ich weiß, werden viele Hongkonger Gerichte mit Reis oder Nudeln zusammen serviert. Eine Ausnahme könnte daran liegen, wenn man sehr traditionell bzw. offiziell zusammen isst. Aber in diesem Fall wird in Taiwan normalerweise kein (Weiß)Reis serviert, sondern nur Gerichte. Wer einen Schale von Reis möchte, soll man sich zusätzlich bestellen. Wenn das Essen fast zum Ende geht, wird ein “Reisgericht” oder so serviert, um, ja wie du vermutest hast” Gäste zu sättigen. Aber dieses “Reisgericht” ist nicht “Weißreis”, sondern z.B. gebratener Reis oder Klebreis.
Umgekehrt isst man in Deutschland Brot als gewissermaßen Beilage. Z.B. Chili con
Carne ohne Reis als Hauptessen kann man sich in Ostasien nicht vorstellen, aber in Deutschland isst man Brot nur zusätzlich. Dieses hat auch mit der Suppe zu tun, die in Deutschland oft dicker ist sogar als Hauptessen behandelt werden kann.
So viele interessante Notizen und Gedanken! 🙂 Und woher kommen die Schriftzeichen?
Hihi. Ich habe eine kantonesische Freundin gefragt 🙂
Sehr unterhaltende und schőne Notizen Henni. Danke fűr einen Űberblick in ein hong konger Leben 🙂