Die Wahl der Qual

Zugegebenermaßen, der Titel ist ziemlich platt um über die US-Wahl in diesem Jahr zu schreiben. Passt sie dadurch jedoch nicht besonders gut zu ebendieser Election? Inwieweit diese Frage zynisch ist, sei jedem selbst überlassen, für mich ist es jedoch ein Weg mit Ereignissen umzugehen, die ich nicht vollständig verstehe. Darum möchte ich auch nicht über Geschehnisse auf der großen Bühne berichten, sondern einfach ganz subjektiv einige Beobachtungen aus meinem Alltag in Berkeley mit euch teilen. Wie hat sich die Wahlperiode für mich hier ganz subjektiv angefühlt? Alles andere könnt ihr über die entsprechenden Kanäle sicherlich genauso gut herausfinden.

Die meisten Leute mit denen ich über die Wahl gesprochen haben, waren „tired of it“ und konnten kaum erwarten „to get over with it already“. Die monatelange Spannung, die aufgebaut wurde ist also ermüdend, die Leute können kaum erwarten, dass die Ergebnisse endlich raus sind. Mein Kommilitone, der mich am Wochenende mit zum Wandern genommen hat, hat einen „Bernie 2016“ Sticker auf seinem weißen Jeep. Ob er die Verkündung der Ergebnisse verfolgen wird, frage ich ihn. Er verneint, es sei der Geburtstag seines Mitbewohners und er habe keine Lust sich diesen Abend vermiesen zu lassen.

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Trotzdem ist dieser Wahltag anders: unser Vermieter hat heute Morgen extra eine große Fahne an der Terrasse angebracht, die blau-weiß-rot in der Brise vom Meer sachte weht. Ich sitze in meiner Fensternische, in T-Shirt und kurzer Hose; wenn ich nach San Francisco blicke muss ich die Augen zusammenkneifen, damit mich das im Meer reflektierte Sonnenlicht nicht blendet: es fühlt sich nicht wie November an und es fühlt sich auch nicht wie Election Day an. So groß angekündigt und doch ist es ein Tag an dem ich Kurse habe wie an jedem anderen Dienstag auch.

Doch heute ist die Fahne unter meinem Fenster nicht die einzige, der ich begegne. Ovale Sticker prangern auf der Brust vieler meiner Kommilitonen; darauf zu sehen ist die Flagge der Vereinigten Staaten und der Spruch „I voted“. Die Leute sind stolz darauf und teilen dies! Auch meine Professorin für Cultural Heritage verzichtet nicht auf den Beweis. Einige Aufkleber unterscheiden sich: „I voted per Mail“ steht auf Englisch und klein auch auf Spanisch auf blauen Ovalen. Das war in dem Packet, welches es für die Briefwahl gab, erzählt mir eine Studentin. Auch wer aus der Ferne wählt, muss nicht auf diesen Plastikorden verzichten.

Außerdem sehe ich einige Mützen und T-Shirts, welche die Präferenz der Wähler mit allen Passanten teilen. Als würde es hier um eines der vielen Sportteams geben, die an Game Days stets durch das Tragen der entsprechenden Jerseys unterstützt werden.

Allgemein ist in Berkeley auf jeden Fall eine Ablehnung Trumps zu spüren. Leute, mit denen ich gesprochen haben, können es ebenso wenig glauben, wie die europäischen Medien. Insgesamt haben viele das Gefühl die Wahl zwischen Pest und Cholera zu haben. Third Party Vote ist jedoch meist keine Option, das sei eine verschenkte Stimme scheint der Konsens – da doch lieber für das geringere Übel abstimmen. Ein anderer Freund von mir meint jedoch, dass er das Gefühl habe vor jeder Wahl sei man unzufrieden mit den aufgestellten Kandidaten und frage sich jedes Mal wie es dazu kommen konnte. Doch am Ende steht man patriotisch hinter dem Präsidenten, habe ich das Gefühl. Darum auch der Eklat als Trump während der dritten Fernsehdebatte nicht direkt zugestimmt hat, ob er das Ergebnis der Wahl anerkennen würde, auch wenn er nicht als Sieger daraus hervorgehen würde. Das lag nicht nur an seinem Misstrauen gegenüber der Richtigkeit der Wahl. Eine Freundin aus der High-School meinte auch als Obama Präsident wurde und ich fragte ob sie damit zufrieden sei, dass sie ihn als Präsident ihres Landes nun unterstützen werde, egal ob sie ursprünglich für oder gegen ihn war. Am Ende gewinnt der Patriotismus.

In Berkeley habe ich viel Hoffnung gesteckt, mir vorgestellt wie politisch aktiv diese Universität wohl sein würde, wie vielen Bannern ich wohl begegnen würde – und ehrlich gesagt wurde ich enttäuscht. Groß angekündigte Events, ein Teach-In auf dem Sproul Plaza, öffentliche Screenings der Debatten, waren weniger aufregend als in meinem Kopf. Doch vielleicht habe ich an falscher Stelle geschaut. Nicht umsonst muss ich mit dem Fahrrad regelmäßig Slalom um Handy-Zombies fahren: das Leben spielt sich virtuell ab. Und auch Facebook hat seine Programmierer an extra Wahl-Features gesetzt. Der virtuelle Sticker kann hier noch besser geteilt werden. In kurzen Schlagworten kann man die Programme der Kandidaten einsehen und den Countdown bis zum Election Day verfolgen. Eventuell ist die Zeit der Demonstrationen mit großen Bannern vorbei. Sein Gesicht zeigt man auf Facebook.

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Insgesamt ist in der Stadt jedoch eindeutig eine Meinung aus der Menge zu hören: bloß nicht Trump. Während der Fernsehdebatte wurde Trump ausgelacht, Hillary wurde applaudiert. Der mager besuchte Teach-In von Dozenten wurde zwar in Lokalzeitungen diskutiert (dürfen die Angestellten der Universität politisch aktiv sein?), doch die wenigen Studenten mit Trump-Plakaten und „Make America Great Again“-Mützen wirkten eher wie lächerliche Hampelmänner hinter den Rednern. Die Wirkung von Studenten, die sich Hände-haltend schützend zwischen die Störenfriede und die am Mikrofon Stehenden stellten, verfehlten ihre Wirkung an mir jedoch trotzdem nicht. Das war ein besseres Zeichen als jeder Sticker, als jeder Facebook-Post für mich.

Wichtig war auf dem Campus die Möglichkeit, dass man sich zur Wahl registrieren lassen konnte. Verschiedene Organisationen sprachen regelmäßig Passanten an und forderten auf, dass sich alle Wahlberechtigten registrieren würden. Auch meine Dozenten erinnerten die Studenten daran. Außerdem gaben alle Professoren an, dass man lieber den Kurs verpassen sollte, als nicht wählen zu gehen. Die Sprechstunde einer Dozentin soll ausfallen, falls Trump diese Wahl gewinnt: mit den entsprechenden Kopfschmerzen könne sie das dann einfach nicht.

Ein paar Plätze von mir entfernt saß heute ein Kommilitone und hat sich auf seinem Computer noch über einige Propositions, über die ebenfalls abzustimmen ist, informiert. In Kinderliteratur erzählte mir Becca, dass sie heute um 5 Uhr aufgestanden sei um in ihrer hometown wählen gehen zu können. Jemand anderes erzählte mir, wie die einstündige Schlange vor dem Wahllokal in Oakland eine gute Gelegenheit dafür darstellte, sich ein Bild von der Bevölkerungszusammensetzung von Oakland zu machen. Vielleicht ist heute doch kein Dienstag wie jeder andere?

Wir planen für heute Abend jedenfalls auf eine Party für die Verkündung der Ergebnisse zu gehen (von der wir über Facebook erfahren haben) – mit gratis Bier, Wein und Essen. Eventuell haben wir dann Morgen auch Kopfschmerzen.

2 thoughts on “Die Wahl der Qual

  1. Danke an uns alle für die Wahlbegleitung heute morgen/mittag/abend. KGE connected. Share the Love, machen wir die Welt im Kleinen alle ein kleines bischen besser, egal wo, egal wie. Jetzt erst Recht. Auch wenn das alles gerade so hinfällig scheint. Gerade deshalb.

  2. Sehr komisch jetzt noch einmal meine Gedanken von vor ein paar Stunden zu lesen. Aber irgendwie auch gut, dass ich diese noch eingefangen habe, ehe sie jetzt so überschattet vom Ergebnis sind. Berkeley ist eben doch eine Blase, die nicht Amerika repräsentiert. In Pennsylvania habe ich noch über die riesigen Trump-Plakate auf den Farmen gelacht. Das ist mir heute bei den ganzen roten counties dort vergangen.

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