„I voted“, das stand auf einem Aufkleber, den heute fast jeder trug. Auf der Straße, im Seminar, überall begegnete einem heute dieser kleine „Orden“, den sich alle selbst für den Urnengang ans Revers hefteten, als sei es eine Auszeichnung. Heute konnte man zu spät kommen, oder der Uni ganz fern bleiben, wenn man es mit dem Wahlgang entschuldigen konnte. Ein besonderer Tag, den unser Vermieter am Morgen mit einer gehissten Flagge über der Einfahrt einläutete – ein Tag, der endlich die Anspannung auflösen sollte, die sich über Monate aufgebaut hatte.
Anspannung habe ich persönlich erst seit einigen Stunden. Gerade komme ich von einer Wahlparty an der Uni zurück, die sich zuletzt in Form von einem abgegrasten Buffet umgeben von resignierten bis leise weinenden Menschen selbst auflöste. Zuhause schalte ich den Fernseher ein und lese breaking news: „Clinton will not speak tonight“. Es ist 23.10 Uhr. Ich schenke mir ein Glas Whisky ein und beginne diesen Text.
In den letzten Tagen hatte ich mehrfach den Gedanken, dass eine Wahl Trumps nicht so abwegig erscheint. In Berkeley traf man die Trump Unterstützer kaum, generell gab es sie in Kalifornien nicht (sichtbar). Auf meinen Reisen durch Nevada, Oregon und Washington waren die „Trump Pence“ – Schilder in den Vorgärten jedoch omnipräsent. Erst außerhalb von Kalifornien sah ich die Trailer Parks und die einsamen, verrottenden Häuser auf dem Land, in deren Einfahrten sich mindestens fünf Autowracks aufreihten. Ich aß mit den Menschen, die man wohl als „white trash“ bezeichnet in Kleinstadt-Diners vor denen riesige Dodges und Super-Duty-Pickups parkten. Ich hörte ihre Gespräche und sah ihre Lebensumstände und plötzlich erschien mir ein Erfolg Trumps nicht mehr so unwahrscheinlich.
In den sozialen Medien wurde die Wahl seit Wochen als eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera dargestellt. Ich traf kaum Studierende, die tatsächlich Hillary Clinton befürworteten, sie war nur das kleinere Übel. Es gab einen Konsens: Trump darf es nicht werden. Beim Public Viewing der Fernsehdebatten klatschten alle für Clintons Schlagfertigkeit und lachten oder buhten über Trumps Nonsens. In Berkeley waren die Fronten geklärt, aber Berkeley ist eine Blase, viel zu sehr universitär geprägt.
Dass ein Kandidat, der öffentlich über Frauen sagt: „You have to grab them by the Pussy!“ , der nicht weiß, wo Afghanistan liegt, der sein Vermögen auf ominöse Weisen mehrt und dessen einzige Adjektive der Wahl „very, very“ oder „great“ sind tatsächlich gewählt werden könnte, erschien mir trotz aller Befürchtungen zu absurd.
Nun ist klar, dass der Mann Präsident wird und er verkündet: „We have to dream big and bold again […] I want to thank my parents who I know are looking down at me tonight. Great people. Great, great people.” Selbst wir Ausländer haben ein breiteres Vokabular als dieser Kerl.
Was das nun für die Welt zu bedeuten hat, kann ich mir in meiner Schockstarre noch nicht ausmalen, aber die Aussicht, dass man sich diesen „Seich“, wie es meine schwäbische Oma genannt hätte, nun vier Jahre lang täglich anhören muss, lässt mich erschaudern. „Mehr als eine Comicfigur kann ich in dieser Person einfach nicht sehen“, meint Ella hierzu. Eine Comicfigur mit nervtötender Mimik, Rhetorik und wolkenartigem Toupet. Eine Comicfigur mit rassistischen bis eugenischen Denkansätzen unter dem Deckmantel des American Dream. Eine Comicfigur mit Atombomben. Nett.
Ich schenke mir einen weiteren Whisky ein und glaube an einen bösen Traum. Den Träumen nahe ist auch Trumps Sohn, der während der peinlichen Dankesrede beinahe wegpennt. Endlich verlässt der seltsame Haufen die Bühne. In Melania Trumps Gesicht steht förmlich geschrieben, dass sogar sie realisiert hat, dass die Zukunft Übles bringt. Die internationalen Märkte spielen derweil verrückt. „Vielleicht können wir ab morgen günstiger Leben“, ist mein zynischer Gedanke. Mein einziger Vorzug dieses gesellschaftlichen Desasters. Was, wenn in Deutschland jetzt Wahl wäre? Ich mag es mir nicht ausmalen.
Ich schalte ich mein Handy ein. 158 neue Nachrichten aus der KGE-Gruppe, 28 weitere besorgte Nachrichten; der heiße Draht glüht, mein Kopf auch.
Am Morgen hatte ich meinem Vater eine Nachricht mit der Frage geschrieben, ob heute wohl die Welt untergehe. Er antwortete, dass sie sich auch mit Trump weiterdrehen würde. Das tut sie. „Davon geht die Welt nicht unter“, sang Zarah Leander 1941 umringt von Wehrmachtssoldaten. Wir wissen, was danach noch kam.
Toller Text Uwe. Selbst ich habe im Sűden beim Mitfiebern Bier getrunken, sodass ich die Wahl von Whiskey vor Ort in den Staaten gut nachvollziehen kann. Sehr aufregend, dass ihr das alles so nah miterlebt. Ich wűnschte natűrlich, dass die Ergebnisse anders wären und wir diesen ”rassistischen Comicfigur” nicht Präsident nennen műssten. Mich schockiert auf dieser Welt einfach nichts mehr… Abschließend kann ich nur sagen, Trumps Sieg: fűr uns Besorgnis, but springtime for Erdoģan & Putin.