Breaking Gossip

Gestern habe ich erfahren, dass mein Wohnheim in den News in ganz Hong Kong war. Einige von euch wissen, dass ich mit meiner ersten Mitbewohnerin eine problematische und leicht verstörende Erfahrung gemacht habe. Daher kann ich mir den Vorfall, der es in die Nachrichten schaffte, sehr lebhaft vorstellen. Umso dankbarer bin ich natürlich, dass ich nun mit Yuli zusammen lebe, die sehr rücksichtsvoll, empathisch und nett ist.

Warum war mein Hostel in den News? Wegen dem Lärm-Problem. Hostel B, in dem ich lebe, ist auf dem ganzen Campus als das laute, coole Hostel bekannt. Die Einheimischen dürfen – soweit ich richtig informiert bin – nach ihrem zweiten Semester wählen, in welchem Hostel sie leben wollen. Die Hostels stehen für unterschiedliche Dinge, für einen unterschiedlichen Lebensstil. Hostel A ist das Party-Hostel (also auch nicht zu empfehlen, ich habe schon sehr, sehr verstörende Dinge darüber gehört, die gewiss über die Imaginationen des verehrten Lesers und der verehrten Leserin hinausgehen), in Hostel B leben die coolen Kids (cool Hong Kong Girls and Boys), dann kenne ich noch das Hostel, in dem die Bücherwürmer wohnen.

Hong Kong ist anders! Der Rhythmus der Studierenden unterscheidet sich stark von dem was zumindest ich gewohnt bin. Ich versuche nicht mehr vor zwei Uhr nachts ins Bett zu gehen, da es davor einfach zu laut ist – und sei es auch einfach nur das Türe knallen unserer schweren Zimmertüren. Man kann natürlich einschlafen, man wird aber auch wieder aufwachen. Also später ins Bett, anderen Rhythmus annehmen.

Man muss sich bei Gruppenarbeiten auch nicht wundern, wenn die Arbeiten erst kurz vor knapp erledigt werden. Das ist hier einfach so, das wird man nicht ändern können. Als wir in einem Fach eine Gruppenarbeit im Unterricht abgegeben haben, sind zu diesem Termin alle, wirklich alle, Seminarteilnehmer zu spät gekommen. Manche nur zehn Minuten, manche auch eine halbe Stunde, einfach weil alles noch vorm Unterricht fertig gemacht und ausgedruckt werden musste.

Stolz berichte ich hier nun also, dass ich meinen letzten Essay eine Minute vor Abgabe eingereicht habe (um 23:58). Ich fühle mich schon ganz Hong Kong Culture mäßig!

Der Begriff Hong Kong Culture wird dabei nicht nur von mir als Außenstehende eingebracht. Meine Erfahrung mit meiner ersten Roomie hatte im Nachhinein auch Wertvolles, da ich durch sie Einblicke erhalten habe. Hong Kongs Kids und Teenager arbeiten hart. Von ihnen wird viel verlangt. Den letzten Schulabschluss zu erlangen, ist eine große Hürde. Es gibt ganze Schulen, die nur darauf ausgerichtet sind, dich nach einem ersten Versagen auf den zweiten Versuch vorzubereiten. Sogar die Eltern können Vorwürfe zu hören bekommen, wenn ihr Kind in der Schule nicht gut genug ist – es fehle an der richtigen Unterstützung. Ihr könnt hier einen kurzen Trailer eines Dokumentarfilm zum Thema anschauen.

Die Uni-Zeit ist also die Zeit, in der man endlich mal die Sau rauslassen kann. Es gibt keine ständige Überwachung, du lebst mit deinen Freunden zusammen. Wenn du tagsüber auch noch arbeitest, um dir etwas dazu zu verdienen, ist nachts die Zeit, in der du aktiv wirst. In der du das machst, was dir Spaß macht. Hong Kong Culture. So zumindest von Einigen die Erklärung.

Dieses Prinzip wird in meinem Hostel so hochgehalten, dass einfach keine Rücksicht auf andere genommen wird. Wenn die Spiele im Zimmer, von denen ich schon mal berichtet habe, gespielt werden, dann werden sie einfach gespielt. Wenn du nicht eingeladen wirst, dann wirst du nicht eingeladen. Hürde ist dabei meist die Sprachbarriere. Ich habe gestern mit einer Studentin darüber geredet, die ihr ganzes Studium hier verbringt, aber kein Kantonesisch kann. Sie meinte, dass sie aus Höflichkeit eingeladen wird und sie aus Höflichkeit dankend ablehnt.

Nun kam es also zu dem Vorfall vergangene Woche. Eine Studentin aus Festlandchina (viele Hong Kong People mögen Festlandstudierende nicht) ist nachts aus ihrem Zimmer gegangen, um die Jungs, die in ihrem Flur waren (und dort nicht leben) zu fragen, ob sie doch bitte leiser sein können. Daraufhin wurde sie stark beschimpft (eine Beschimpfung von der euch Mareike bald noch in einem anderen Kontext berichten wird) und ihr wurde vorgeworfen, dass sie die Hong Kong Culture nicht respektieren würde. Um sich dafür zu rächen, dass sie und eine Freundin (?) es gewagt haben, nach etwas mehr Ruhe zu fragen, machten sie erst richtig Krach. Sie holten ihre Freunde dazu und ließen laut Musik laufen. (Das ist tatsächlich ein Vorfall, den ich in ähnlicher Variante schon einmal erzählt bekommen habe.) Die Studentin hat die Beschimpfungen gefilmt und online gestellt. Das Video und ihr aggressiver Frust ging viral und landete in den News.

Hier ein Bericht von Apple Daily, das Wikipedia wie folgt charakterisiert:

“Apple Daily’s popularity as Hong Kong’s second best selling newspaper, according to AC Nielsen, is derived from its concentration on celebrity coverage, brash news style, sensationalist news reportage and its anti-government political positions.“ (https://en.wikipedia.org/wiki/Apple_Daily, 29.10.16)

Ihr findet die Berichterstattung samt Video unter folgendem Link: HK Apple Next Media.

Kein Wunder also, dass alle Locals, denen ich erzähle, dass ich in Hostel B wohne, entsetzte Geräusche machen. Aber keine Sorge, auch hier gibt es nette Menschen und seit ich im Short Wing (der gleichzeitig der Silent Wing ist) lebe, geht es besser!

19 thoughts on “Breaking Gossip

  1. Die ganze Geschichte, aber das mit der Beleidigung schockt mich gerade wirklich. Und wie dich wundert es mich ab einem bestimmten Punkt auch nicht. Dass Leute überall die gleiche Scheiße fabrizieren müssen.

  2. Das klingt ja wie in einem Teenie Film! Ich hoffe, du wirst nicht auch noch beschimpft! Ich finde es ganz toll, dass du dich damit so gut arrangierst und kann mir sehr gut vorstellen, wie du dich auf eine ruhige Nacht in deinem eigenen Zimmer freust! 🙂

    1. Oh ja!! Auf mein bequemes Bett in ruhiger Nacht, nur die Nachtigallen zirpen … Haha! Meine erste Nacht zurück! Das wird aufregend.
      Ich fühle mich hier auch ab und zu wie in einem Internatsfilm, Drama after Drama 🙂

  3. Schade, dass es das Video nicht auch auf Englisch gibt. Mich hätte echt interessiert, was diese Beleidungungen genau umfassen. Wie schade, dass das Bitten um Ruhe als respektlos wahrgenomen wurde :/. Kennst du auch locals, die ein Erasmus Jahr gemacht haben und von ihren Erfahrungen berichtet haben?

Leave a Reply to Henriette Cancel reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *