“That was bad. This is ugly.”

Ich wollte seit zwei Wochen eigentlich einen lustigen Blog zu meiner Punjabi-Wedding Erfahrung schreiben; über das Gefühl, die größte Frau am Platz zu sein, über diese unfassbare Neugierde der Menschen oder eher Freude daran, Fragen zu stellen, ganz gleich ob eine Antwort darauf folgt. Über das Brautpaar, das umringt von unzähligen Belichtungsschirmen der Fotografen (ganze 5: vom Fotografen der Braut, vom Filmteam der Braut, vom Fotografen des Bräutigams, vom Filmteam des Bräutigams und schlussendlich noch vom gemeinsamen Fotografen) auf einem Sofa auf der Bühne sitzt und relativ emotionslos geradeaus starrt – umringt von der bunt gekleideten Verwandtschaft, die samt und sondern für gemeinsame Fotos posiert und die Frischvermählten anschießend mit Geld bewirft. Und natürlich über diese unheimliche Coolness der Punjabis, vor allem der älteren Modelle, die sich mit Turban und Flieger-Brille auf der Tanzfläche gemächlich hin und her wiegen, und es mit einer einzigen Geste (nach oben gerichtete Zeigefinger und rhythmisches Schulterzucken) irgendwie schaffen, eine Aura der erhabenen Autorität und Attraktivität über sich zu werfen, dass ihre jüngeren Nachkommen, die wild zuckend daneben vibrieren, beinahe wie lächerliche Hampelmänner aussehen. Beinahe. Neben dem Rhythmus-Gefühl, das mich normalerweise in deutschen Diskotheken umgibt, würden sie vermutlich wie verdammte Bollywood-Götter wirken.

In diesem Zusammenhang wäre sicher auch die Diskussion interessant geworden, welches unterbewusste sexuelle Verhalten sich da in diesen Zeigefingern nach Freud seinen Weg aus der Unterdrückung bahnen will…Ideen gerne zurück an mich 🙂

Dann wollte ich einen Blog zu meinem letzten Trip posten – ein Camping-Ausflug nach Rishikesh, eine der heiligen Städte der Hindus nahe einer der Bergquellen des Ganges vom Himalaya kommend; eine großartige Mischung aus Indian Road-Trip – die Musik genauso bunt gemischt wie die Autoinsassen – Abenteuer-Urlaub inklusive Rafting-Tour und wildromantischer Atmosphäre unter einem riesigen Vollmond, in dessen Licht ich genauso ausgiebig gebadet habe, wie im Wasser des Ganges; rein karma-mäßig bin ich gerade also auf der sicheren Seite!

Letztendlich aber erscheinen diese Erlebnisse relativ unspektakulär und oberflächlich im Vergleich dazu, wie sich die Atmosphäre hier auf dem Campus entwickelt. Ich bereue beinahe die saloppe Art, wie ich darüber das letzte Mal geschrieben habe, nämlich die politischen Auseinandersetzungen während der Wahlen in eine mittelmäßige gothic horror-novel zu verpacken. Denn sie sind, das wird mir mehr und mehr klar, für die meisten Studenten hier bittere Realität und prägen das Leben auf dem Campus unheimlich.

Die politische Haltung der Universität ist dezidiert links, auf studentischer Basis durch mehrere Vereinigungen und Parteien vertreten. Die radikalste ist dabei AISA, soweit ich das mitbekommen habe (als europäische “casual student“ ist mir der Zugang zu den entscheidenden Kanälen leider häufig versperrt und ich kann nur auf das zurückgreifen, was mir zugetragen wird) eine kommunistisch-maoistische Partei. Natürlich kommt es daher zwischen der Politik der Universität und der konservativ-rechten Regierung Indiens immer wieder zu Konflikten; auf dem Campus stellvertretend ausgetragen mit der ABVP, der rechten Studenten-Partei.

Ich habe es bisher immer als außerordentlich spannend empfunden, dass das politische Leben hier so eng mit dem akademischen verknüpft ist, dass sich meine Professoren selbst als „incorrigible political animals“ bezeichnen, dass die Dinge beim Namen genannt werden und niemand versucht, sich hinter intellektueller Neutralität zu verschanzen. Hinter jeder wissenschaftlichen Aussage steht eine politische Haltung, so der Tonus hier. Und die vielen hundert Wandbanner, die die Wände aller Gebäude zieren, legen davon Zeugnis ab.

Durch die letzten Ereignisse aber beginne ich ebenfalls zu sehen, welche negativen Folgen diese enge Verknüpfung hat, nämlich wenn alles politisiert wird, instrumentalisiert wird, für Wahlkampf-Kampagnen benutzt und nur noch auf einer parteilichen Ebene ausgetragen wird.

Der erste Vorfall (wie gesagt, das ist nur das, was ich selbst gehört habe) war ein ausgefülltes Formular über sexuelle Belästigung von einer ausländischen Doktorandin gegen ihren Ex-Freund, der gleichzeitig ein Mitglied der AISA war und als Präsidentschafts-Kandidat gehandelt wurde. Der Fall, anstatt mit Diskretion behandelt zu werden, wurde sofort publik gemacht und über Nacht hingen überall auf dem Campus Stellungnahmen der unterschiedlichsten Parteien mit unterschiedlichsten Forderungen, obwohl von polizeilicher Seite noch keine Ermittlungsergebnisse vorlagen. Was mich jedoch besonders betroffen gemacht hat, war, dass die Stellungnahmen zwar Solidarität mit Frauen einforderten, aber sich anscheinend niemand Gedanken darüber machte, welche Auswirkungen eine so unmittelbare Veröffentlichung des Geschehenen auf die Betroffene haben könnte. Da beide namentlich genannt wurden, kam es immer wieder zu direkten Auseinandersetzungen – anscheinend so immens, dass die Doktorandin sich genötigt sah, eine öffentliche Stellungnahme zu geben und zu verbreiten, weil alle Parteien den Vorfall nutzten, um das politische Machtverhältnis zu ihrem Vorteil zu verschieben. Es kamen dabei ähnliche Phrasen auf, die mich sehr an manche Aussage erinnert hat, die ich gehört habe, bevor ich hierher gekommen bin: AISA-Mitglieder, wie Muslime, wie Inder sind anscheinend alles Vergewaltiger.

Man entkommt diesen verallgemeinernden Scheuklappen-Phrasen einfach nicht.

Der nächste Vorfall spielte sich wohl am letzten Wochenende in einem der Hostels ab. Aus irgendeinem Grund (hier klaffen die Spekulationen nach wie vor auseinander) gerieten zwei Gruppen von Studenten aneinander, bis einer, anscheinend massiv verbal bedroht, zuschlug und sich anschließend im Badezimmer versteckte. Eine Gruppe der anderen Partei der Auseinandersetzung folgte ihm wohl danach und schlugen ihn im Hostel selbst zu Boden und verprügelten ihn, als Racheakt für den vorherigen Angriff. Soweit das, was passiert ist.

Worauf sich aber die internen Uni-Kanäle und auch die Presse stürzen, ist, dass der eine Student ein Muslim war und dass die anderen Studenten der ABVP-Partei angehörten. Und schon wieder befindet man sich im Kreuzfeuer der politischen Positionen, die den Vorfall instrumentalisieren, um sich in ihren Haltungen selbst zu legitimieren.

Mag sein, dass die politische Ebene in beiden Fällen eine Rolle spielt. Ich bin jedoch der Meinung, dass eine zu große Fokussierung auf diese die Perspektive die Ereignisse stark verzerrt. Ich würde sogar sagen, auf eine gefährliche, für meine Begriffe unmenschliche, Weise. Denn was über die Konflikte vergessen wird, war eine Täter AISA-Mitglied oder nicht, waren die Täter ABVP-Mitglieder oder waren sie es nicht; am Ende stehen da eine junge Frau, die in ihren Grenzen, ihrer Identität, massiv verletzt wurde. Am Ende steht da eine Mutter im Direktorat der Uni, weil der muslimische Student, ihr Sohn, seit dem Vorfall verschwunden ist.

Viele Studenten sind die Auseinandersetzungen der Parteien müde, sprechen von Übertreibungen der Fakten. Aber ich denke, selbst nach Ausschließung aller Spekulationen, aller Gerüchte, bleiben diese zwei Umstände bestehen. Und wer ist da, sich damit auseinanderzusetzen, diesen Menschen Unterstützung zukommen zu lassen, wenn alle nur damit beschäftigt sind, Schuldfragen wie Pingpong Bälle zwischen ihren Parteien hin und her zu spielen?

Wenn ich meine bisherigen Erfahrungen hier in Indien resümieren müsste, dann wäre das eine der prägendsten: Die Leidenschaft der Menschen für Politik, der Glaube daran, dass sie trotz Korruption, trotz systemischer Mängel, grundsätzlich dazu da ist, ein gutes ein harmonisches Zusammenleben zwischen den Menschen zu gewährleisten. Dass es deswegen zur Aufgabe jedes einzelnen gemacht werden sollte, sich politisch zu engagieren und einzubringen, weil das bedeutet, sich für die Menschen an sich einzusetzen.

Politik kann daher nicht von den anderen Lebenssphären als unabhängig betrachtet werden, sondern steht im Wechselverhältnis zu ihnen: Sie produziert Veränderungen und ist gleichzeitig Folge von ihnen. Ich denke daher, dass der politische Kontext aus dem Geschehenen nicht ausgeklammert werden sollte, werden darf. Mich, und viele andere Studenten auf dem Campus, macht es aber unheimlich betroffen, zu sehen, wie die Perspektive auf die Menschen, unabhängig ihrer sozialen und politischen Verhältnisse und Rollen, dabei in den Hintergrund tritt, bis sie beinahe vergessen wird.

Einer meiner indischen Kommilitonen hat diesen Zwiespalt für mich auf den Punkt gebracht:“The conflicts that happened in February, that was bad. What’s happening now is ugly.“

Mal sehen, was da noch kommen wird.

3 thoughts on ““That was bad. This is ugly.”

  1. Wie spannend! Politisch aktive Gruppen in anderen Ländern beobachten ist immer aufregend! Wir waren diese Woche bei einem Trump Teach-In. Während in der vorderen Reihe die Redner standen, die versucht haben Trumps Phrasen auseinanderzunehmen, posierten dahinter Studenten der republikanischen Sparte, grölten respektlos in die Reden der Professoren und hielten Anti-Hillary-Schilder in die Luft, um die Aufmerksamkeit an sich zu ziehen. Von dem Großteil der Studierenden wurden sie belächelt. Aber generell sind die Studenten hier nicht so politisch, wie ich es mir vorgestellt hatte. Du erlebst dort wohl eher die 1968er Stimmung, als wir hier an ihrem Ursprung!

  2. Don’t trust Freud!! Haha, genieß die Bollywood-Götter!
    Ich hatte übrigens vor einiger Zeit auch einen deiner Freudschen-Hund-Momente. Ich bin einfach nicht darüber klar gekommen, dass die Geckos hier winzig sind (ca 1,5cm) und daher von der Erscheinung her, viel eher wie Insekten wirken, von der Form und Klasse es aber nicht sind. In meinen Vorstellungen mussten Geckos groß und saftig und grün sein. Ich konnte meiner Mitbewohnerin erst einmal nicht glauben, dass das, was ich ihr geschildert habe, ein Gecko gewesen sein soll. Als ich das nächste Mal eins in der Dusche sah (wohlgemerkt achter Stock!), hatte ich aber die Möglichkeit genauer hinzusehen: es war tatsächlich ein winziges Gecko.
    Deine Ausflüge und Erlebnisse klingen ganz wunderbar! Ich freue mich, dass du so spannende Dinge erlebst und höre hoffentlich bald mehr davon 🙂
    Zu den Konflikten an deiner Uni: das finde ich alles ziemlich krass! Eine Campus-Uni ist irgendwie auch intensiver als eine nicht-Campus-Uni, oder? Ich finde deine Schlussfolgerungen sehr verständlich. Wenn Menschen sich auch über Politik definieren, dann kann man diesen Teil nicht ausklammern und doch bleibt man im Kern einfach Mensch. Oder Lebewesen. Wenn Politik so stark in den universitären Alltag integriert wird, dann kann man sie nicht einfach weg denken und doch sollte Wissenschaft ein Maß an Neutralität bewahren oder sie suchen. Wie unrealistisch eine saubere Trennung ist, wissen wir alle. Und dass Politikgeschäft oft Instrumentalisierung von Ereignissen und Erreichen der “Massen” über Emotionen ist, ist leider auch trauriger Alltag. Es bleibt daher wahrscheinlich nur, dagegen an zu reden und Stellung zu beziehen, so wie du es getan hast. Ist der Student wieder aufgetaucht?

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