Wo bin ich gelandet?

Plan für gestern: 15 Uhr Treffen mit der Forschungsgruppe, mit welcher wir gleich drei Sitzungen vorbereiten müssen. Um ‚effektiv‘ arbeiten zu können, hat uns unsere nette Kommilitonin (Gruppenmitglied) zu sich nach Hause eingeladen. Soweit alles gut. Man denkt sich nicht so viel dabei. Eine Adresse zu finden ist kein Problem für mich. Die Kommilitonin, die uns eingeladen hat, hat mir bereits gesagt, welchen Bus ich nehmen muss und dank google maps wusste ich auch, wo ich aussteigen muss. Um sicher zu gehen, frage ich natürlich an der Haltestelle nach, die Jungs irritieren mich, ich steige doch nicht ein. Schließlich stellt sich heraus, dass google doch Recht hatte und ich nach 20 min warten doch den Bus mit derselben Fahrtrichtung nehme. Der Fahrer mit dem ich schwer kommunizieren konnte, da hier die Fahrer hinter einer Glastür versteckt sind, sodass man laut schreien muss, hat mir auch letztendlich mit einem Kopfnicken bestätigt, dass ich im richtigen Bus bzw. Micro oder auf Türkisch dolmuş bin. Da ich ja bereits sehr laut geredet habe, konnte auch jeder hören, wo ich aussteigen muss. Eine freundliche etwas ältere Dame hat mir gesagt, dass ich mit ihr aussteigen kann. Also sind wir nach 15 min Achterbahnfahrt in der Micro (schlimmer, aber genauso lustig wie in der Türkei) ausgestiegen. Ich wusste bereits dank google, dass ich nur 180 m laufen musste zu der Wohnung von der Kommilitonin. Die Dame bot mir an, mich zu begleiten, was ich freundlich abgelehnt habe, da ich ja nur die eine Straße finden musste. Sie meinte, aber dass die Gegend hier sehr gefährlich sei, sodass sie mich begleiten möchte. Nach kurzem Überlegen und umschauen habe ich wieder abgelehnt und gesagt, dass ich klar komme und sie nicht aufhalten möchte. Es kam ein No! in einem ziemlich lauten Ton als Antwort. Also hole ich danach mein Handy raus, um der Dame sagen zu können, welche Straße und Hausnummer wir suchen müssen. Sie schreit mich wieder an und sagt, ich solle mein Handy sofort wieder einpacken, weil es geklaut werden kann. Ich sehe ein paar Straßenhunde und eine ruhige, etwas herabgekommene Gegend oder besser gesagt ein barrio  bajo. Aber ich habe mich ehrlich gesagt überhaupt nicht unsicher gefühlt. Irgendwie fühle ich mich hier nie unsicher. Ist es Leichtsinn? Oder bin ich so tapfer? Oder fühle ich mich einfach wie in der Türkei? Ja, das denke ich mir jeden Tag. Ich vergleiche die Straßen mit dem Dorf, wo mein Opa in den Ägäisregion lebt.  Was ist los mit mir frage ich mich, während ich der humpelnden Dame voraus laufe. Als ich mit diesen Gedanken beschäftigt war, wurde ich von der Dame wach gerüttelt, als sie mich wieder anschrie: „Lauf nicht so schnell, ich habe Probleme mit meinen Beinen“. Aber ich will vorangekommen, habe eh schon Verspätung rede ich innerlich. Also laufe ich langsamer mit meiner humpelnden Beschützerin an meiner Seite, die mich vor all möglichen Gefahren  schützen wird. Sie fragte mich, wie meine Kommilitonen heißt, sodass sie jede Person auf der Straße oder die Leute vor ihren Haustüren nach der Jennifer, meiner Kommilitonin fragte. Eine andere türkische Methode das Haus zu finden denke ich. Dann wollte ich in eine andere Straße, aber durfte nicht von der Dame aus. Gut daraufhin bleibe ich weiterhin freundlich und versuche wieder mein Handy raus zu holen, sie hält meine Hand fest und sagt: No! Okay bleib ruhig Esra geht mir durch den Kopf. Dann kam der Befehl, ich solle die Jenny anrufen, damit sie mich abholt. Ich sage ihr, dass ich dafür mein Handy brauche. Ihre Antwort: Zum Telefonieren kannst du es rausholen. Aha sinnvoll… Naja ich rufe sie an- Handy aus. Dann spicke ich schnell bei maps und sage der Dame, dass ich weiß wo lang. Wir gehen zusammen hin, sie kennt die Mutter von der Jenny und sagt zufrieden: „Ich wusste doch ich kenne diese Jenny! Lasst dieses Mädchen hier nicht allein“ ermahnt sie die Mutter. Wo bin ich frage ich mich. Ich gehe mit Jennys Mutter rein. Es ist schon 15.35. Ich hatte mich darauf vorbereitet, mich für die Verspätung zu entschuldigen, aber Jenny ist nicht da. Ich warte, Jenny kommt mit der Kommilitonin, die sich verirrt hat. Es ist 16.10 Uhr. Um 16.35 kommt die Vierte, auf die wir gewartet haben. Ich bin stolz, dass ich die Erste war und genervt, weil es so spät ist. Bis 22.00 waren wir zusammen, davon wurden eine Stunde ‚effektiv‘ gearbeitet, während die restliche Zeit ‚effektiv‘ gegessen, Bier getrunken, geraucht (Chilenen rauchen auch andere Sachen während dem Lernen) Unterhaltungen durchgeführt worden und eine halbe Stunde auf den Bus gewartet worden sind. Während der Wartezeit habe ich gesehen, dass Frauen abends vor der Tür abgeholt worden sind und, dass niemand allein an der Haltestelle wartet, sondern stets begleitet wird. Ich merke, dass die Kioske alle schon ihre Sperrgitter befestigt haben, sodass sie nur durch diesen Gitter verkaufen. Mir fällt auch auf, dass wirklich niemand ein Handy in der Hand hat, obwohl das hier so üblich ist. Ich denke an die Worte der alten Dame. Dann fällt mir ein, dass Jenny mir ein Tag vorher auch “Pass auf dich auf” geschrieben hatte. Mir fallen alle Warnungen ein, die ich hier immer erfolgreich mit der Ausrede ignoriere, dass ich in Frankfurt studiert habe und auch vieles von der Türkei kenne und steige in den Bus ein. Nein ich hatte keine Angst, aber ich war dennoch froh, als ich bei uns an der Hauptstraße vor dem Einkaufshaus ausgestiegen bin, wo einfach auch spät abends mehr los ist.

4 thoughts on “Wo bin ich gelandet?

  1. Wirklich interessant, wie leichtfertig wir oft agieren, weil wir ein anderes Niveau von Sicherheit zu sehr gewohnt sind. Schön aber, dass du am Ende einen erfolgreichen Abend verbringen konntest. Und Lerntreffen, die letztlich in Kochen und Quatschen ausarten, gibt es offensichtlich überall 🙂

  2. Ich kann so gut nachvollziehen, wie schwierig es ist so einer Situation ist, die eigene Autonomie aufzugeben und sich an fremde Aussagen zu halten… Aber auch das ist eine wichtige Erfahrung, dass man es nicht immer besser weiß und ich bin froh, dass Senora NO dabei geblieben ist und auf dich aufgepasst hat! Und ich drücke die Daumen für eure drei Präsentationen! 🙂

  3. Die Frage, die ich mir zwischendurch gestellt habe ist, ob du zwischendurch mal Angst hattest, mit IHR mitzugehen? Oder hattest du einfach das richtige Gefühl, dass sie es gut meint?
    Der Kontrast zwischen den Orten, an denen ich mich bewege und Südamerika ist einfach immer wieder so groß und solche Geschichten lösen bei mir immer ein Gefühl aus, als wäre ich gegen eine mentale Wand gelaufen. Tokio und Hong Kong, fremde Städte, große Städte, ich bin in beiden ohne schlechtes Gefühl durch die Nacht gewandert, nachts um 3, 4. Franzi und ich haben vor 3 Wochen ja auf diese Art durchgemacht, Laufen von 12 bis morgens um 6 und die Nacht hat sich so gut angefühlt, frei, sicher, warm, die Stadt endlich mal ruhig und zu überblicken. Und das war einfach eine unglaublich tolle Erfahrung. Tagsüber, auch in unserer Stadt, wo die Internationals einfach auffallen, schert sich einfach niemand um uns, abgesehen von der einen oder anderen alten Dame, der wir im Weg stehen. Die scheucht uns dann mit großen Handbewegungen weg und das wars. In solchen Momenten merkt man dann doch, wie verschieden die Welt ist und wie gut und komfortabel wir es hier haben, was das angeht.

  4. Tina wenn ich die Dame nochmal sehe werde ich sie Senora No nennen:) Das gefällt mir.
    Uwe: Die coolen Studenten eben- da artet es aus und im Süden erst Recht 🙂
    Mareike ich muss echt sagen, ich hatte keine Angst, vor allem nicht vor der alten Dame, weil sie eben alt war und humpelnd gelaufen ist die Arme. Auf den Straßen auch nicht. Mich freut es, dass du ihr euch so sicher und wohl fühlt auch nachts. Ich muss gestehen, ich habe bisher noch nicht die Nacht in Santiago auf den Straßen durchgemacht. Aber nach Mitternacht würde ich bzw. sollte man hier aufpassen in welcher Gegend man eben nach 23 Uhr auf der Straße läuft. Aber das gilt eben auch für Städte wie Izmir oder Frankfurt von daher ist es eigentlich nicht so anders, sodass ich eben nicht so schnell Angst bekomme, sondern ‘nur’ aufpassen und die Augen offen halten muss.

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