Billy Joel, Civil Rights und Brother Kaepernick

Rory Gilmore wäre stolz auf mich und meine Quote von zwei Büchern pro Woche. Ich selbst bin natürlich ebenfalls ein bisschen stolz, auch wenn ich die meiste Zeit eher überfordert bin. Nicht, weil ich das Pensum nicht schaffe oder die Texte nicht verstehe, sondern eher weil so viele neue Informationen auf mich einprasseln. Es ist wie We Didn’t Start The Fire von Billy Joel. In meinen Kursen deklinieren wir amerikanische Kultur und Geschichte im Eilverfahren durch: Little Rock, Pasternak, Mickey Mantle, Kerouac, Sputnik, Chou En-lai and the Catcher in the Rye…

Da kann einem schon schwindelig werden. Vor allem aber ist es für mich nicht leicht, überhaupt festzuhalten, was ich dabei so lerne. Der anspruchsvollste Kurs, den ich belegt habe, ist wohl “Civil Rights and Social Movements in the US”.

In dieser Vorlesung habe ich auf jeden Fall eine Sache schnell einsehen müssen: Rassismus ist bei weitem kein so fernes Problem, wie ich mir das vorgestellt hatte. Trotz Black Lives Matter und Donald Trump hatte ich vor Berkeley kein wirkliches Verständnis dafür, wie problematisch der Status von Afroamerikanern und anderen Minderheiten in den USA nach wie vor ist. In der Theorie wusste ich zwar von Polizeigewalt und Rassismus, aber so richtig bei mir angekommen war das Thema nicht. Ich konnte mir irgendwie nicht vorstellen, dass unsere aufgeklärte, westliche, postmodern-moderne und globalisierte Gesellschaft tatsächlich noch mit Waffen auf der Straße um Gleichberechtigung kämpfen muss. Inzwischen schäme ich mich dafür, dass ich so naiv war.

Vor Ort habe ich jedenfalls schnell realisiert, dass die Zusammensetzung der Gesellschaft in den USA ihre ganz eigene Brisanz hat und ich bin mir sicher, dass die wenigen Monate hier nicht ausreichen werden, um das endgültig zu verstehen. Gerade in Kalifornien ist die Öffentlichkeit seit einiger Zeit besonders in Aufruhr. Zu verdanken ist das Colin Kaepernick, dem Quaterback der San Francisco 49ers (Er würde es sicherlich in eine Neuauflage von Billy Joels Song schaffen). Kaepernick hat einen landesweiten Eklat provoziert, als er sich geweigert hat, vor einem Footballspiel zur Nationalhymne aufzustehen. Der Sohn eines Afroamerikaners kniete stattdessen und protestierte damit gegen Polizeigewalt und die Benachteiligung afroamerikanischer Bürger. Für mich klang das ganz einfach nach einem lobenswerten symbolischen Akt und Berkeley sieht das genau so. Der Dozent meines Kurses (ebenfalls Afroamerikaner) lobt Brother Kaepernick regelmäßig und ermutigt die Studenten, sich für ihn zu engagieren. Die große Mehrheit der Amerikaner steht der Angelegenheit aber sehr kritisch gegenüber und eine Minderheit ist sogar willens ihre Meinung mit Gewalt durchzusetzen. NFL(National Football League)-Sprecher bezeichnen Kaepernick als undankbaren Verräter und sein Verhalten als unamerikanisch. Schlagzeilen wie “Bill Maher calls Colin Kaepernick an ‘idiot’: ‘Stick to what you know'” oder “Colin Kapernick and protecting the sacred right of jerkhood” sind an der Tagesordnung.

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(instagram @kaepernick7)

Ich versuche in der chaotischen, sehr emotional geführten Diskussion irgendwie einen Durchblick zu bekommen, was mir bisher noch nicht so recht gelingen will. Andererseits bin ich selbst gezwungen mitzudiskutieren. Zur Vorlesung gehört nämlich auch eine einstündige Discussion Section, eine Art Tutorium. Für mich persönlich ist das der anspruchsvollste und gleichzeitig spannendste Teil des Kurses. Zwischen den Amerikanern chinesischer und japanischer Herkunft, den Afroamerikanern, den Kindern philippinischer und lateinamerikanischer Einwanderer und den Nachfahren von Indiandern habe ich mich anfangs in der Rassismus-Debatte ziemlich fehl am Platz gefühlt. Meine Angst etwas politisch inkorrektes zu sagen war so groß, dass ich gar nichts gesagt habe. Nach und nach habe ich realisiert, dass diese Diskussion für fast alle Studenten eine neue Erfahrung ist. Die meisten sind zwar mit amerikanischer Kultur aufgewachsen, aber das heißt noch lange nicht, dass sie The Catcher in the Rye auch gelesen (und verstanden!) haben.

Bei vielen merkt man, dass das Berkeley-Denken für sie völlig neu ist und nichts mit dem zu tun hat, was sie in Schulen und Zuhause vermittelt bekommen haben. In High Schools scheinen die Heldentaten von Kolumbus und diversen Pionieren immer noch mehr Raum einzunehmen als Ureinwohner und Sklaven. Die Idee, dass Melting Pot und American Dream mehr Mythos als Realität sind, ist für einige im ersten Moment befremdlich und löst hitzige Diskussionen aus. Denn auch wenn alle wissen, wer Colin Kaepernick ist (und im Gegensatz zu mir die Football-Regeln verstehen), heißt das noch lange nicht, dass sie sich über die Bedeutung seines Protests einig sind.

Und Billy Joel kennen die meisten gar nicht.

4 thoughts on “Billy Joel, Civil Rights und Brother Kaepernick

  1. Das ist echt sehr interessant Laura. Und wie problematisch eine Situation ist, bekommt eben nur vor Ort mit. Der Kampf um Gleichberechtigung- ein Thema was mich sehr bewegt. Ich werde auf weitere Berichte zu diesem Thema warten.

    P.S. Zwei Bücher pro Woche: Das nenne ich Leistung. Rory, Lorelai und ich sind stolz auf dich 🙂

  2. “Zum Geburtstag wünsche ich mir eine fette Scheibe von Laura Sophia Jungs Disziplin, Motivation und Aufnahmefähigkeit.” =D
    Ich schließe mich Rory an mit dem Stolz, und frage mich trotzdem wie du das machst? Verrat mir dein Geheimnis! Los! 🙂

  3. Schließe mich an alles Gesagte an. Und es ist immer so spanned, über solche Schlüsselfiguren zu hören, die diese Themen plötzlich nochmal in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen.
    Aber eine Woche Billy Joel-Ohrwürmer, das hing nach. Es sollte wirklich mal jemand ne neue Version von We didn’t start the fire schreiben. Habt ihr zufällig Zeit? 😉

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