Über Essen, Verkehrssünden und Uni-Alltag

Seit einem Monat lebe ich Shanghai. Das heißt es ist einen Monat her, seit ich das letzte Mal Käse, selbstgebackenes Vollkornbrot oder eine große Schüssel Salat gegessen habe. Es ist aber auch einen Monat her, dass ich meine Lieben zuhause gesehen oder umarmt habe. Aber ich möchte nicht über das schreiben was ich hier vermisse, sondern über das was ich hier gefunden habe. Denn ich habe tatsächlich schon so etwas wie Alltag gefunden. Etwas was mir vor einem Monat unvorstellbar schien.

Fangen wir beim Wichtigsten an, beim Essen. Und damit steigen wir direkt mit dem Alptraum aller Europäer ein, denn Essen in China bedeutet essen mit Stäbchen! Natürlich bekommt man in einigen Restaurants als Westler auch eine Gabel angeboten, aber wer möchte sich schon diese Blöße geben? Am Anfang wird also jede Mahlzeit zum Kampf. Ein Kampf gegen Okra mit Tomaten, Wasserspinat oder Tofu. Ein Kampf gegen Lotuswurzel oder, der aller gemeinste und leckerste Gegner: frische, handgemachte Nudeln. Man gewöhnt sich dann aber erstaunlich schnell an die Handhabung. Wenn ich heute daran zurückdenke, wie ich an meinem ersten Tag in Shanghai nach der halben Portion aufgegeben habe, weil ich es nicht geschafft habe die kleinen Gemüsestücke mit den Stäbchen anzuheben, dann schleicht sich ein Lächeln in mein Gesicht. Die Hürde der Stäbchen habe ich also schon gemeistert.

Eine weitere essensbedingte Hürde war die Frage danach wie ich die Mahlzeiten, die ich nicht in der Mensa zu mir nehmen möchte, gestalten sollte. Eigentlich könnte ich alle drei Hauptmahlzeiten in der Mensa bekommen und viele meiner Bekannten nehmen auch mindestens zwei davon in der Mensa ein. Es gibt eine große Auswahl an Gemüse, Tofu, Nudeln – und ja natürlich gibt es auch jede Menge Fleisch. Und in der Regel schmeckt das Essen auch gut. Für mein Befinden ist es aber meist zu ölig. Deshalb habe ich mir einige Alternativen überlegt, die ich kühlschrankfrei und trotz allen sonstigen Kocheinschränkungen zubereiten kann. Mein tägliches Frühstück ist somit Haferbrei mit Gojibeeren. Und ja, Haferbrei mit Wasser schmeckt gar nicht so schlecht. Abends steht dann Rohkost auf dem Speiseplan. Dabei kann es passieren, dass ich einfache eine komplette Pomelo oder Drachenfrucht nasche. Für salziges Abendessen habe ich die Kombination von Tomaten, Avocado und Nüssen für mich entdeckt. Oder seit neuestem das Kraut von Amarant. Das wird hier ähnlich wie Spinat verwendet und ist super gesund. Ich denke aber, dass ich in nicht allzu weiter Ferne aus meiner Rohkost-Phase ausbrechen werde und mir weitere Küchenutensilien zulegen muss: Mi manca la pasta, amore!

Ein weiterer wichtiger Punkt ist natürlich der Uni-Alltag. Zunächst einmal ist der Weg zum Vorlesungssaal schon eine kleine Odyssee. Denn auch auf unserem Campus gibt es Rush Hour und die sieht wie folgt aus. Der Fahrstuhl hält auf dem Weg ins Erdgeschoss gefühlt auf jedem Stockwerk. Ich wohne im 17. Stock. Die Fahrt dauert also ewig. Unten angekommen heißt es ab in die Massen. Oft blockieren munter plappernde Grüppchen die gesamte Straße. Rollerfahrer fahren in Schrittgeschwindigkeit. Rechtsfahrgebot ist ein Fremdwort. Gerne sitzen auf Zweirädern mehrere Personen. Bei Regen oder zu starker Sonne hält man im Fahren natürlich einen Regenschirm. All das trägt nicht gerade zur Verkehrssicherheit bei. Zwischen all diesen Hindernissen gilt es den schnellsten Weg zu finden. Und obwohl ich auf dem Campus wohne muss ich morgens 15 bis 20 Minuten einplanen um zur Vorlesung zu kommen.

In den Vorlesungssälen oder in allen anderen Teilen der Uni, auch im Wohnheim, fallen mir vor allem immer wieder die Überwachungskameras auf. Manche Lehrer wollen dementsprechend sensible Themen lieber außen vor lassen. Aber über dieses Thema möchte ich an anderer Stelle ausführlich berichten. Die Kurse, die ich hier belege sind alle chinaspezifisch. Ich besuche einen Kurs zu chinesischer Literatur im 20. Jahrhundert, einen zu chinesischem Film und eine Einführung in Gesellschaft und Kultur. Ansonsten sind die Kurse hier nicht sehr viel anders wie in Deutschland: einige tippen eilig mit, andere tippen stattdessen die ganze Zeit auf dem Handy und dann natürlich die eine Person, die vor Langeweile einschläft. Und natürlich jede Menge Texte, Texte, Texte.

Zwei Mal die Woche gehe ich dann aber doch in einen etwas anderen Unterricht. Elementary Spoken Chinese. „Spoken“ wurden in den ersten drei Wochen allerdings nur Silben. Denn wer hätte gedacht, dass die chinesische Aussprache so schwer und so anders ist – ja, okay vermutlich jeder! Zweieinhalb Stunden vergehen natürlich wie im Flug wenn man sie mit „Ba, bo, bi, bu, pa, po, pi, pu, ma, mo, mi, …“ verbringt. Aber ab nächster Woche gibt es Hoffnung auf Besserung, dann werden wir nämlich anfangen, Sätze auswendig zu lernen. Yeah!

 

Abschließend möchte ich euch von meinem neuen Namen erzählen. Es ist hier völlig selbstverständlich, sich einen chinesischen Namen auszusuchen. Und viele Chinesen haben zum Glück auch einen englischen Namen. Ich wurde sehr oft gefragt, ob ich schon einen chinesischen Namen hätte. Für mich war das völlig abwegig, denn ich kann ja kein Chinesisch und werde auch in ein paar Monaten schon wieder in meiner Heimat sein. Bis immer mehr Leute danach fragten. Bis unsere Chinesisch-Lehrerin meinte, sie könne sich keine westlichen Namen merken. Bis einige Freundinnen einfach angefangen haben, einen Namen für mich zu suchen. Und heute hab ich dann den ultimativen Test gemacht und habe meiner Lehrerin den Namen gezeigt, den sich meine Freundinnen überlegt hatten. Mit einem großen Lächeln sagte sie: „Very good name!“ Es ist also besiegelt. Mein neuer „Familienname“ ist Lin. Das ist ein gängiger Familienname in China und bedeutet Wald. Passend also zu der Bedeutung von Silvia. Man Vorname besteht aus Xi, was freudig bedeutet, und Ya, was elegant heißt. Hauptgrund für den Vornamen war aber die lautliche Ähnlichkeit zu Silvia.

Und damit bin ich ab heute Lin Xi Ya 林禧雅.

 

PS: Ich hab inzwischen warmes Wasser 😉

8 thoughts on “Über Essen, Verkehrssünden und Uni-Alltag

  1. Ein freudiger und eleganter Wald… Wie schön. Genieß die weitere Zeit, du machst alles richtig und es werden noch viele spannende Erlebnisse auf dich zukommen, wenn du weiterhin so offen durch die chinesische Welt gehst 🙂

  2. Hatte bei “Verkehrssünden” gleich ziemlich üble Sachen im Kopf, die uns ein Prof über Mainland China erzählt hat. Gut, dass es nur um den täglichen Wahnsinn geht. Schickt mal Bilder!
    Mainland China sagen hier übrigens alle, mir fällt nur gerade beim Schreiben auf, wie absurd das aus eurer Perspektive klingen muss. Die ganze HK-China-Beziehung ist definitiv auch nochmal nen ganzen Post wert. Vielleicht könnt ihr euch mal umhören, wie die Leute bei euch das sehen?

    Dein Name ist übrigens sehr sehr schön 🙂

  3. Bei dem Schriftzeichen für Lin kann man sich gut vorstellen, dass es für Wald steht – ist eins davon dann nur Baum? Hat die das jemand als Schriftzeichen gesendet oder wie hast du das eingetippt? Freudig und Elegant passen auch gut zu dir, finde ich!! 🙂 Aber umso schöner, dass es auch Silvia ähnlich klingt! ♥

  4. Lin das gefällt mir echt:) Freut mich Silvi , dass du vor allem mit dem Essen klar kommst und dein ”Alltag” gefunden hast. Ich werde mich freuen dich chinesisch sprechen zu hören 🙂 Ganz viel Erfolg Liebes. Jetzt wo du auch noch warmes Wasser hast, kann nichts mehr schief gehen 🙂

  5. Das klingt alles so spannend, dass ich doch tatsächlich ein bisschen Fernweh bekomme – soweit dies aus der Ferne möglich ist 😀 Dein neuer Name ist super!

  6. Lin Xi Ya!
    Das hört sich alles wild und spannend an! Find es auch ziemlich beeindruckend wie du dich mit dem Essen irgendwie anfreundest… Total wichtiges Thema!

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