Hongkong, du machst mich sprachlos

Und dabei wollte ich doch so viel über dich sprechen und schreiben.

Back in Konstanz. Zurück zum Anfang. Geschichten, Reflexionen und Tratsch. Kaffee oder Bier. Uni oder Strandbar. Foucault oder KIZ. Mit euch lieben KGElern. Großartig.

Kein Gespräch davon wollte ich missen. Schon gar nicht nach zwei erfüllten Mastersemestern in alle Winde davonsegeln und eure Stimmen verhallen lassen. Deswegen das Blog-Projekt für das Auslandssemester. Mit Text und Bild und Video. Mit ernstem und leichtem. Von Cultural Clash zu Guten-Morgen-Kaffee und KuWi Krempel. Team. Kick-Off. Concept. Design. Umsetzung. Content. Tadaaaa!

Es war mir so wichtig.

Es ist toll jeden Artikel zu lesen, die Fotos zu sehen und die Stimme der anderen im Herzen zu hören, mitlachen. Ich wollte erzählen, kommentieren. von diesem Hongkong. Von kuriosen Begegnungen und erschreckendem Streetfood. Von Reisefieber und dem Finden von sicheren Orten. Von akademischer Oberflächlichkeit und knallharten Leistungssport-Team-Aufnahme-Tests. Von Urban Sociology und Dosenbier.

Was nun? Sprachlos.

Die Sätze sind getaktet. Wie die vollen, übervollen Episoden, Momente, die sich in den letzten drei Wochen aneinanderreihen, aber noch keine Übersicht erlauben, keine Worte finden lassen, keinen Rhythmus ergeben.

Den Rhythmus Hongkongs, dessen Takt ich noch nicht kenne. Aber es ist ein Konzert.

Jeden Tag wandert mein Blick zu den „Needles“, den Hochhäusern. Seit wir im Taxi durch den Regen vom Flughafen an die Uni gefahren sind. Wenn ich aus meinem 8.Stock-Hostel-Fenster blicke; wenn ich die grüne Oase hinter der Uni-Schutz-und-Trutz-Burg-Anlage verlasse und mich in die mit Gerüchen und Licht zum Platzen angefüllte Stadt begebe; wenn ich im Zug Richtung Downtown  auf Höhe des 10. Stockwerkes zwischen ihnen hindurch fahre. Ich finde mich in den Bildern der Divergent Reihe wieder, die ich im Flieger gesehen habe. Dystopie.

Die Needles: Sinnbild und Raum um die meine Sprachlosigkeit kreist.

Wie auf einem Nadelkissen sind sie aus dem Boden gestampft und in den Boden gebohrt. In Blöcken repetitiv angeordnet. Repetitiv ist auch ihr Stil. Hoch und aufgereiht bieten sie Platz für tausende, die in die gleichförmigen Raster aus balkonlosen Fenstern passen. Doch sind diese Raster filigran, kleinteilig, irgendwie fast elegant. Ästhetisch und hässlich.

Hongkong Needles

Diese urbane Funktionalität und die schiere Größe sind auf den ersten Blick vielleicht beeindruckend, aber alleine un-aufregend. Das was mich sprachlos macht – diese für mich (noch) nicht greifbare Ambivalenz der Stadt –  entsteht durch ihre bizarren Kontrastwelten, die sich um die Needles entfalten.

So bildet die Kühle der Wohntürme einen extremen Gegenpol zu dem absolut prallvollen Leben zu ihren Füßen. Aus der Ferne macht die Funktionalität Sinn; hat das Postkarten-Wiedererkennungswert. Darunter ergibt sich ein Straßenbild, für das ich keine Vergleichsbilder abrufen kann. Man vergisst die Vogelperspektive und die Skyline, wenn die Klimaanlagen genauso laut summen wie du Busse, wenn die schwüle Hitze der Luft und nicht die gekühlten (oder gefrorenen) Räume einen umgeben, wenn Gerüche aus den Auslagen unbekannt, oft durchdringend, und nicht den Produkten zuordenbar sind, wenn Menschen jeden Hintergrundes sich im Straßenbild vermischen – laut und bestimmend.

Hongkong Nightmarket

 

So bildet die Kühle der Wohntürme auch einen extremen Gegenpol zu der sie umgebenden, natürlichen Wildnis aus dschungelbewachsenen, sanften Hügeln; blauem Meer; ob am Tag oder in der Nacht.

View from Hostel, Hong Kong

Der Blick aus meinem Studenten-Hostel am Campus. Ist das brutal oder schön? Ist das laut oder leise? Ästhetisch oder hässlich? Ist das verbaut oder eingebettet? Wer bist du Hongkong?

Ich habe die Sprachlosigkeit sprachlos sein lassen. Habe anstatt Worte zu suchen, Bilder gemacht. Das Fotografieren ermöglicht es zum einen neue Perspektiven zu finden und zum anderen sich auf die Details zu konzentrieren. Ein Ausschnitt. Ein Puzzleteil der Stadt. Auf Instagram in den Raum gestellt.

Und die Bilder sind für mich bessere Kommunikationsmöglichkeit, da mir auf die Frage „na, wie ist es so? wie geht es dir dort? Lass mal was von dir hören“ die Worte fehlen. Ich habe geschwiegen.

Und ich habe mich, anstatt Worte zu suchen, bewegt. Wenns nicht läuft, dann lauf einfach. Das heißt nicht, dass etwas schlecht läuft, nur, dass ich gerade den Rhythmus finde. Neugierig.. Voll Energie. Gespannt. Überspannt. Vorfreudig. Auf Entdeckungstour. Beobachtend. Nicht zurückschreckend. Immer dabei. Make the most of now. Zu allen Uni-Kursen gehen, da ich sehen will, wie gedacht wird. Zu allen Sport-Teams, da ich erleben will, wie trainiert wird. Zu allen Restaurants, da ich schmecken will, was gemocht wird.

Und einfach weiter durch die Stadt. Puzzleteil für Puzzleteil. Wie am letzten Dienstag. Nachts am Victoria Harbour. Und plötzlich war alles still. Und plötzlich schwieg die Stadt. Kaum ein Mensch war unterwegs. Das Wasser war ruhig, die Skyline vertraut. Ein sicherer Ort. Ich kannte einen urigen Straßenverkäufer mehr und die Ecke. Landmarken auf der inneren Karte gesetzt. Keine bizarren, lauten Kontraste. Als die Sonne aufging standen der entspannte Hongkonger Fotograf und ich auf der Aussichtsplattform und lauschten den chinesischen Schlagern aus seinem Radio. Plötzlich war ich das erste Mal Teil davon. Getting to know you, Hongkong.

 

Getting to know you Hong Kong

 

2 thoughts on “Hongkong, du machst mich sprachlos

  1. Hallo
    als fast nur in Europa Reisende kann ich aus Erfahrung das nicht nachvollziehen, aber der Stil und die Sprache haben mich mitfühlen lassen. Sprachlich ein großartiger Text, obschon sehr modern – sprachlich meine ich, aber sehr passend zur Sprachlosigkeit angesichts dieser Sinneseindrücke. Danke dafür.

  2. Sprachlos! Ich fühle mit dir. Ich glaube das Gefühl kennen wir alle. Finde es super mit den Bildern. Manchmal passen auch die Worte nicht zu den Bildern… Da lässt man sie einfach für sich sprechen. Ich finde die Bilder atemberaubend vor allem die skylines. Und zur Aussicht: die ist sehr schön. Mir fällt auch auf, wenn ich aus meinem Balkon schaue, dass sich das Schöne oder Hässliche ändert, je nach dem welche Ecke ich anschaue, zur welchen Uhrzeit und auf welchen Winkel ich mich konzentriere… Lass weiter die Bilder für dich sprechen, während du tolle Eindrücke sammelst. Drücke dich aus Santiago

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