Ein wenig Abenteuer, ein wenig Märchen – und ganz viel Taj Mahal!

Und was willst du mal werden, wenn du groß wirst? – Wer von uns kennt diese Frage nicht, hat sie nicht schon so viele, viele ermüdende Male gehört. Inzwischen, da man davon ausgeht, dass ich ja genug Zeit hatte, um groß zu werden, höre ich sie meistens in leicht veränderter Variation. In etwa so: Was studierst du? Hä? Und was willst du damit später mal machen?

Leider geht mein Gegenüber dabei von zwei Fehlannahmen aus. Nämlich erstens, dass ich inzwischen „groß“ wäre. Und daraus resultierend, dass ich daher auch schon wüsste, was aus diesem „Werden“ mal werden soll.

Besonders gegenüber meinen indischen Fragern, welchen die Lust an der Neugierde und dem Fragen-Stellen selbst stets in den Augen funkelt, tut es mir beinahe Leid, dass ich hierauf selten eine befriedigende Antwort geben kann -spätestens seit dem Schuh des Manitu wissen wir doch alle, dass 1,69 nicht groß ist.

Als Kind waren meine Antworten vielleicht genauso unbefriedigend, dafür aber wenigstens kreativ. Mal war es Trucker-Fahrer, mal Archäologin, dann wieder Hexe. Insgeheim – das „geheim“ habe jedenfalls ich immer gedacht; inzwischen glaube ich, dass meine ganze Familie von Anfang an Bescheid wusste, wie der Hase läuft – habe ich gedacht, dass ich eines Tages auf meinen fliegenden Teppich steige, nach Agra schwebe und als Maharani meine Residenz in dem Gebäude aufnehme, von dem ich schon träume, seit ich überhaupt träumen kann. Dem Taj Mahal.

Aber wie immer unterscheiden sich Kinderträume und Realität. Wenigstens marginal.

Denn in meinem Traum reise ich auf einem fliegenden Teppich. In der Realität ist es ein für indische Verhältnisse erstaunlich leerer Zug; natürlich mit Sitz in der günstigsten Kategorie, also Schlaf-Wagen OHNE Klimaanlage. Aber wer will da denn kleinlich sein? Und auf einem fliegenden Teppich hätte ich schließlich die ganzen skurrilen Bilder verpasst, die sich auf so einem indischen Bahnhof aneinanderreihen: Öffentliche Urinale, daneben Familien auf Picknick-Decken in der Mitte der Bahnsteige, eine junge Frau, die sich auf den Gleisen erleichtert und dabei Zähne putzt, Chai-Walas (Teeverkäufer), die gegeneinander anschreien, dösende Zeitungsverkäufer neben dösenden Hunden, beide Spezies hingebungsvoll von hunderten von Fliegen bekrabbelt und, meine persönlichen Favoriten, die beiden Männer in unserem Abteil, die erst unendlich viele Döschen mit allen möglichen Naschereien auspacken und genussvoll verspeisen, sich anschließend gegenseitig die Füße massieren und dann, Hand in Hand, aus dem Fenster starren und die vorbeifliegenden Dörfer, Bäume, Felder, Ziegen und Kühe betrachten.

Auf dem Bahnsteig in Agra bemerke ich zum ersten Mal, dass ich über dem ganzen Träumen vom Taj Mahal vergessen habe, dass da noch eine ganze Stadt außen herum steht. Eine ganz unmystische, laute, dreckige, unheimlich reale indische Stadt. Der mentale Teppich wird also wieder zusammen gerollt – fürs erste. Denn die kleine Romantikerin in mir versucht natürlich dennoch, in dieses reale Erlebnis so viel träumerische Magie wie nur möglich zu packen.

Wir stromern also zunächst ein wenig durch die Straßen und Märkte der Stadt, suchen die Stellen abseits der großen Attraktionen – und werden dabei wieder selbst zu welchen. Aber diesmal steht einfach ehrliche Neugierde in den Gesichtern der Menschen, die auf einmal in Türen und Fenstern, auf sämtlichen Balkonen erscheinen und uns mustern. Keiner kommt angerannt, um uns auf unzählige Selfies zu zerren oder uns irgendwelche Kuriositäten zu verkaufen. Man betrachtet sich gegenseitig, schaut sich in die Augen und lächelt sich an. Das ändert sich auch erst wieder, als wir in die Viertel zurückkehren, die an Touristen gewöhnt sind und die deren Umgarnung professionalisiert haben, schwupps, haben wir uns von Subjekten wieder in Objekte verwandelt. Wie einfach das geht!

Wir beschließen, uns an diesem Tag noch das Fort von Agra anzusehen – eines der schönsten im Mogul-Stil, das mit seinen roten Steinen leuchtet, als hätte es unter der heißen Sonne zu glühen angefangen.

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Und zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dem Indien zu begegnen, das ich bereits ein wenig aus Bildern, Büchern und Märchen kenne. In jedem neuen Hof, den wir betreten, kann ich über die Verzierungen, die filigranen Blumen und Ornamente nur staunen.

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Besonders gefällt mir der Bereich, in welchem Schah Jahan, der Erbauer des Taj Mahals, von seinem Sohn über Jahre gefangen gehalten wurde, nachdem letzterer die Macht ergriffen hatte – obwohl das alles Lüge ist, wie mir einer der Tuktuk-Fahrer später auseinandersetzen möchte. Der kleinen Romantikerin in mir gefällt aber natürlich die Vorstellung besser, in der der Shah seufzend aus einer der Fensternischen blickt und dabei die Kuppel des Grabmals seiner Lieblingsfrau Mumtaz Mahal in der Ferne aufleuchten sieht. Der weniger romantische Teil muss dabei eher an eine gigantische Trüffel-Praline denken und wird langsam müde.

Wir verbringen die Nacht im „Big Brother Hostel“ in der Nähe des East Gates vom Taj Mahal und sind mit der Unterkunft soweit auch ganz zufrieden – es hat den Flair eines typischen Backpacker Hostels, das cool und alternativ sein will und dabei etwas übertreibt. Aber es gibt leckeren Chai, eine Dachterrasse und (jedenfalls theoretisch) Wifi.

Am nächsten Morgen um vier schälen wir uns aber schon wieder aus den Stockbetten und schlurfen in Richtung des Ticketschalters los, wo wir den stolzen Preis von 1000 Rupien zahlen, dafür aber auch eine kleine Flasche Wasser und einen kostenlosen Transfer zum Gate bekommen. Da geht sie dann auf einmal ganz konkret los, die Reise zum Taj Mahal.

Ich merke, wie ich mit jeder Minute aufgeregter werde. So ist das wohl, wenn man kurz davor ist, sich einen Kindheitstraum zu erfüllen. Der ganze Körper kribbelt vor Vorfreude und auch ein wenig Angst, denn gleich wird der Traum mit der Wirklichkeit ersetzt und was tun, wenn die Wirklichkeit so viel weniger schön, so viel weniger traumhaft ist? Was ist, wenn das Taj Mahal, das da gleich vor mir steht, nicht zu dem Taj Mahal passt, das ich im Kopf habe?

Auf den letzten Metern habe ich beinahe den Impuls umzukehren, habe richtig Herzklopfen. Es mag albern klingen, aber ich bin so aufgeregt, als würde ich noch einmal meinen ersten Kuss bekommen. Aber dann, nach ein paar Schwierigkeiten beim Sicherheitscheck, stehe ich tatsächlich in dem Garten vor dem Taj Mahal und kann es schon durch das rote Tor leuchten sehen. Und irgendwann, nach ein paar mehr Schritten stehe ich tatsächlich ganz davor.

Es ist kleiner als das Taj Mahal in meinem Kopf. Ein Teil ist von einem Baugerüst bedeckt; keine romantische Morgensonne strahlt auf den weißen Marmor und überall schwirren schon andere Touristen umher, mit welchen ich die Szenerie teilen muss.

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Und trotzdem ist es das Taj Mahal und ich merke, wie meine Mundwinkel praktisch senkrecht in den Himmel schnellen, wie sich mein mentaler Teppich wieder ausrollt. Denn Tabea ist am Taj Mahal. Und da ist es auf einmal auch ganz egal, dass es nicht mit meiner Vorstellung übereinstimmt. Es ist trotzdem unheimlich schön und besonders, der große Platz davor, die arabische Kalligraphie, die Mosaike, die Formen und Farben… Besonders schön aber sind auf einmal die Menschen, die mit genauso großen Augen um den Bau herum laufen, die lachen, aufgeregt auf die Kuppel deuten, in ihren Reiseführern lesen, die stumm stehen und nichts anderes tun können, als zu staunen. Es freut mich so, zu sehen, wie sehr sie sich freuen, hier zu sein, zu merken, dass dieser Traum von mir gar kein exklusiver war, sondern dass ich ihn mit vielen anderen teilen kann. Dass an diesem Tag viele, ganz viele Träume in Erfüllung gehen.

Dieses Gefühl begleitet mich noch für den Rest der Zeit in Agra, die wir mit einem leichten Lunch, einem Besuch am Yamuna River und viel Herumfahrerei in einer knallpinken Autorikscha verbringen. Es begleitet mich auf der Zugfahrt zurück, diesmal eingekeilt von einer indischen Familie, die – Überraschung – zuerst aus vielen kleinen Döschen alle möglichen Naschereien auspacken, sich unter anderem gegenseitig die Füße massieren und händchenhaltend aus dem Fenster gucken. (Damit wäre auch geklärt, womit Inder ihre Zeit beim Zugfahren verbringen.) Das Gefühl begleitet mich bis in die Nacht, bis ich nach den holprigen Stunden im Zug und den darauffolgenden holprigen Minuten im Tuktuk wieder auf meiner kleinen Pritsche auf dem Campus liege. Ich würde diesen Eintrag gerne damit beenden, dass dieses Gefühl vermutlich das Beste an diesem Ausflug war.

Aber ich habe ja eingangs erwähnt, dass das mit dem Groß-sein bei mir noch nicht so ganz geklappt hat. Das Beste ist nämlich eigentlich, dass ich endlich diesen blöden Spruch loslassen kann:

Can’t taj this? Ätsch! Ich kann!

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3 thoughts on “Ein wenig Abenteuer, ein wenig Märchen – und ganz viel Taj Mahal!

  1. Wie schön, dass du deinen Kindheitstraum erfüllen konntest. Glaub mir, ich werde hier auch gefühlt jeden Tag gefragt, was ich denn eigentlich mit meinem komischen Master machen kann. Da passt es oftmals ganz gut, dass sie hier unter “maestría” sowas wie Lehrer verstehen und dann nicht mehr nachfragen. Vielleicht kannst du dir auch so eine Art Notlüge überlegen 😉
    Und für den Rest wünsche ich dir die Gelassenheit der Frau, die auf den Gleisen sitzend ihr Geschäft verrichtet hat (ich bin gleichzeitig schockiert und beeindruckt!).

  2. Tolle Bilder! Obwohl ich gerade auch am Träume erfüllen bin und ersehentlich warte noch einige Jugendträume zu verwirklichen, beneide ich dich doch schon, weil ich auch unheimlich gern Taj Mahal besichtigen würde:) Werde hoffentlich mehr Bilder sehen dürfen 🙂 Mögen all deine Tage mit deinem schönen lächeln enden. (Auf den Straßen gibt es einiges, was einem gute Laune macht, wie die unverklemmte Dame)

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