A man’s world? Flugzeuglektüre und Feminismus

Howard Zinn wäre mit meiner bisherigen Leseliste wohl sehr kritisch ins Gericht gegangen: Vier Bücher von vier WASPs – kein Zustand in dieser Welt. Glücklicherweise ist der Zufall auch um eine Frauenquote bemüht und mir fielen zwei der wichtigsten Romane der afroamerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts in die Hände.

Alice Walker – The Color Purple

Dass ich im Flugzeug tatsächlich nicht schlafen kann, habe ich zwischen Frankfurt und Seattle ein für alle Mal gelernt. Meine Nachbarin hatte offenbar dasselbe Problem, schaffte allerdings mit einer Schlaftablette Abhilfe, so dass ich auf meinem Fensterplatz (sehr schön) eingequetscht war (nicht so schön) und von Toilettenspaziergängen keine Rede sein konnte (definitiv unschön). Also nutzte ich die Zeit und las Alice Walkers „The Color Purple“. In einem Rutsch. Die Zeit verging – haltet euch fest – wie im Fluge. Die Geschichte von Celie, einer aus armen Verhältnissen stammenden Afroamerikanerin, nahm mich mit. Zunächst einmal ist es einfach eine schöne Geschichte. Aus armen Verhältnissen, einer grausamen Ehe voller Unterdrückung bricht Celie aus und findet Liebe, Wohlstand und ihre verlorengeglaubte Familie.

Das klingt ganz schön kitschig und im Grunde genommen ist es das auch. Ich weiß nicht wie, aber Alice Walker gelingt es, nicht in die Kitschfalle zu tappen. Die Geschichte wirkt nie so, als hätte sie ein Ziel, als würde sie auf etwas hinauslaufen. Geschrieben als (größtenteils einseitiger) Briefwechsel zwischen der Protagonistin und Gott, später dann ihrer Schwester, ist der Stil des Buches sehr eigen: Celies Briefe sind dominiert von Slang, Rechtschreib- und Grammatikfehlern und einem sehr einfachen Vokabular. Anfangs ist das Lesen so etwas mühevoll, mit der Zeit bekommt man aber das Gefühl, ihre Stimme zu hören. Und sie hat einiges zu sagen. Mein persönliches Highlight sind unverblümte, trockene Weisheiten wie:

“I think it pisses God off if you walk by the color purple in a field somewhere and don’t notice it. People think pleasing God is all God cares about. But any fool living in the world can see it always trying to please us back.”

Vielleicht ist das die pulitzerpreiswürdige Errungenschaft des Buches: Es verleiht Frauen wie Celie eine authentische Stimme und erzählt ihre Geschichte von Anfang bis Ende.

Toni Morrison – Tar Baby

Schon der Titel wirkt irgendwie faszinierend (auch wenn man – wie ich – das erste Wort gleich mal nachschlagen muss: Teer). Ähnlich wie bei Alice Walker ist es auch bei Toni Morrison diese totale Abwesenheit von Kitsch und Rührseeligkeit, die mich direkt begeistert hat. Wenn man sich die Geschichte anhört – reiches, emanzipiertes afroamerikanisches Model trifft auf illegal arbeitenden, armen Afroamerikaner und verliebt sich – könnte man meinen, Nicholas Sparks hätte zugeschlagen. Ganz im Gegenteil. „Tar Baby“ ist ein vielschichtiges Portrait menschlicher Befindlichkeiten im Angesicht von Ausbeutungsverhältnissen und Integrationsfragen.

Vor allem aber ist „Tar Baby“ eine Konfrontation mit den eigenen Vorurteilen und blinden Flecken. Man findet sich wiederholt in Situationen wieder, die moralisch irgendwie uneindeutig sind. Man liest diese Sätze:

“She realized then that all her life she thought they felt nothing at all. Oh, well, yes, she knew they talked and laughed and died and had babies. But she had never attached any feeling to any of it.”

Und ist schockiert, weil es hier um die Zuschreibungen einer Afroamerikanerin gegenüber ihren weißen Arbeitgebern geht. Dann ist man schockiert über die Tatsache, dass man schockiert war. Ganz automatisch hat man einen anderen Gedankengang verfolgt: So denken eben Weiße über Schwarze. Dass es auch ganz anders sein kann, zeigt Toni Morrison immer wieder auf unaufdringliche, aber dringliche Art. Hunderte Fragen ergeben sich so beim Lesen: Kann man es dem Süßigkeitenfabrikanten zum Vorwurf machen, dass er in paternalistischer Manier über seine Hausangestellten verfügt, wo er doch einen herumstreunenden Obdachlosen aufnimmt? Wieso solidarisieren sich die Angestellten nicht mit diesem jungen Mann, sondern wollen ihn am liebsten erschießen? Wie kann sich das afroamerikanische Model in so einen Mann verlieben? Und ist ihre Liebe lebbar?

Tar Baby“ lässt alle Fragen offen, auch die nach einem Happy End. Vielleicht ist deswegen Toni Morrison nicht nur der Pulitzerpreis, sondern auch noch der Nobelpreis zugesprochen worden.

Jetzt, wo ich in Berkeley angekommen bin, habe ich – ganz im Einverständnis mit Howard Zinn – entdeckt, dass der Zufall auch Fehler macht. Die meisten Studenten und auch viele Einwohner San Franciscos sind die Nachfahren von asiatischen Einwanderern – in den Büchern, die ich gelesen habe, spielten die keine Rolle. Ich werde dem Zufall ein bisschen auf die Sprünge helfen müssen und die Augen offen halten. Vielleicht findet sich ja etwas, um die Liste zu ergänzen.

3 thoughts on “A man’s world? Flugzeuglektüre und Feminismus

  1. Hat sich denn schon was gefunden, um deine Lektüre zu ergänzen? Wahrscheinlich hast du bald gar keine Zeit mehr dafür, oder?

    1. Ich belege jetzt einen Kurs in afroamerikanischer Geschichte und einen über soziale Bewegungen und Widerstand in den USA. Genug zu lesen habe ich da auf jeden Fall, mal schauen, was dabei rumkommt 🙂

  2. Schad, dass i nit meh Zit zum Lese ha. Jetz sin halt grad d Norweger dra gsi: Tomas Espedal, “Gaa”, gang! Übers ewigi Unterwegssii.

    Schmutz,
    de Vati

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