„Die Welt ist ein Buch. Wer nie reist, sieht nur eine Seite davon.“ (Augustinus Aurelius)
Ein etwas billiger Spruch, finde ich. Umgekehrt wird ein Schuh draus, habe ich schon früh gelernt. Jedes Buch ist eine Reise, jedes Buch ist eine Welt. Man kann auch sein ganzes Leben bequem im Ohrensessel verbringen und trotzdem überall gewesen sein.
Ich zum Beispiel war noch nie in den USA, so rein physisch. Schon als Kind aber bin ich mit Tom Sawyer und Huckleberry Finn den Mississippi hinunter geschippert, habe Onkel Toms Hütte besichtigt und mich vor dem Seewolf gegraust. Später haben Paul Auster und Siri Hustvedt mir die bourgeoise Künstlerwelt New Yorks mitsamt ihrer Midlife Crisis offenbart und William Faulkner die rauen Sitten im ländlichen Nirgendwo.
Auch jetzt habe ich mich wieder in Bücher vertieft, um ein wenig mehr über das große Land zu erfahren, in dem ich das kommende Semester studieren und leben werde. Die Auswahl überlasse ich dabei dem Zufall (dem Flohmarkt und Geschenken) und gehe beim Lesen nach folgenden drei goldenen Regeln vor:
1. Jedes Buch wird zu Ende gelesen. Ich finde, das bin ich dem Autor schuldig. Er hat sich ja schließlich Mühe gegeben (call me naive). Außerdem sollte man – gerade wenn man etwas furchtbar findet – sichergehen, dass es wirklich bis zur letzten Seite furchtbar ist. Und (frei nach John Osborne): Auch ein schlechtes Buch hat eine gute Seite – die letzte.
2. Gute Stellen, die mir zitierwürdig oder merkenswert erscheinen, werden mit einem Eselsohr markiert. Diese Regel gilt natürlich nicht bei geliehenen Büchern, vor allem nicht denen, die ich von meiner Tante ausgeliehen habe. Sie legt sogar Wert auf einen ungeknickten Taschenbuchrücken (was bei Büchern mit mehr als 400 Seiten Umfang tatsächlich akrobatisch schwierig ist).
3. Ich vermerke das Buch in meiner Bücher-Tabelle und bewerte nach einem Fünf- Sterne-System. Außerdem verfasse ich eine stichwortartige Kurzrezension. Das mache ich nicht für irgendeine Nachwelt, sondern für den ordnungsliebenden Kontrollfreak in mir. Das ist wie bauchpinseln für ihn oder Kaba mit Sahne.
Eine neue Regel kommt jetzt hinzu: Bis zu meinem Abflug habe ich noch etwa Woche Zeit. Eine Woche, die ich auch dazu nutzen möchte, einige der Bücher vorzustellen, mit denen ich mich in den letzten Monaten schon auf San Francisco eingestimmt habe.
Howard Zinn – A People’s History of the United States
Ein Geschenk meines Bruders, der zu diesem Zeitpunkt noch nichts von Berkeley wissen konnte (genau so wenig wie ich). Es war damals für eine Geschichtsstudentin mit besonderem Interesse für Widerstand und Marxismus gedacht und traf genau ins Schwarze. Der Autor, Howard Zinn, gilt als einer der einflussreichsten US-amerikanischen Historiker des 20. Jahrhunderts. Vor allem befasste er sich mit der Bürgerrechtsbewegung und den studentischen Protesten um 1968. In seinem (zugegeben abschreckend umfangreichen) Werk „A People’s History of the United States“ schlägt er den Bogen aber deutlich weiter. Vom Beginn der Besiedlung Nordamerikas durch europäische Siedler bis zur Gegenwart erzählt Howard Zinn die Geschichte derer, die vom Establishment ausgeschlossen waren und deren Stimmen deshalb im offiziellen Kanon der Geschichtsschreibung oft ungehört blieben.
Teilweise schlägt er dabei einen ziemlich zynischen und polemischen Ton an, so dass keine Zweifel an seiner eigenen politischen Haltung bestehen können. Im Vergleich zu anderen Geschichtsbüchern geht es also auch mal amüsant und laut zu.
„Nations are not communities and never have been. The history of any country, presented as the history of a family, conceals the fierce conflicts of interest (sometimes exploding, often repressed) between conquerors and conquered, masters and slaves, capitalists and workers, dominators and dominated in race and sex. And in such as world of conflict, a world of victims and executioners, it is the job of thinking people, as Albert Camus suggested, not to be on the side of the executioners.“
(S. 10)
Dieser insistierende, drängende Stil euphorisiert mich immer wieder, ebenso wie die eingestreuten Existentialisten-Zitate. Ich würde vermutlich applaudieren, wenn es nicht ziemlich lächerlich aussähe, einem Buch zuzuklatschen. Stattdessen zwinge ich mich dann – als mustergültige Kulturwissenschaftlerin ist das selbstverständlich – zum Innehalten und Zweifeln.
Ich kann jedoch nichts finden. Ob das nun an meiner mangelnden Expertise liegt, oder auch daran, dass Howard Zinn bei aller Emphase und Wut professioneller Historiker bleibt, sei dahingestellt. Jedenfalls: Alle Quellen sind mit Verweisen belegt, detailgenau wiedergegeben und analysiert. Was Zinn schreibt, hat Hand und Fuß (wieder mit der Einschränkung: soweit ich das beurteilen kann).
Vor allem hat es Unruhestifter-Potential: Zinn nennt Ross und Reiter, er konfrontiert den Leser mit unangenehmen Wahrheiten und überfordert ihn damit. Mich zumindest. Deshalb wird das Buch mich auch an die kalifornische Küste begleiten – zu vieles habe ich schon wieder vergessen oder noch nicht ganz verstanden.
Wo häsch au des mit em Ufschriibe wohl her un em Bewertigssyschtem? Erbkrankheit?
E Druckerli, de Vati.
Übrigens, i schrib eso, damit die Gheimdienschtkontrolliker mool öbbis z tue hän.
Hey L!
Fange heute an deine Beiträge hier zu lesen. Wünsche dir viel Freude in SF und dass du Zeit findest sie hier zu teilen!
M aus M